von Markus Golletz
Interview Jürgen Küppers
Schnipsel: Interview Jürgen Küppers
An der Erft: »Jetstreamartige Verstärkung«
Ich sprach am 6. Oktober 2021 mit Jürgen Küppers aus Bad Münstereifel. Jürgen ist ehemaliger Geografielehrer und Mitglied (Beisitzer) des dortigen Eifelvereins. Jürgen ist aktuell 81 Jahre alt und machte gelegentlich Stadtführungen für Freunde und Bekannte.
Jürgen Küppers
Bad Münstereifel
Jahrgang 1940
Ehemals Geografielehrer an Erzbischöflicher Schule
Mitglied im Eifelverein, macht private Stadtführungen, wohnt am Nordrand der Eifel
Markus Golletz:
Jürgen, du bist Mitglied im Eifelverein und kennst dich in Bad Münstereifel gut aus. Wie kam es zu der katastrophalen Situation im Juli 2021?
Jürgen Küppers:
Nach den lang anhaltenden Regenfällen an den Vortagen hatte das Rückhaltebecken zwischen Eicherscheid und Schönau sich selbständig gemacht und floss von Süden her über die Bundesstraße 51- wortwörtlich bis an die Tore der Stadt. Wir sind hier am Nordrand der Eifel und es gibt eine Menge an kleinen Bächen, die alle in die Erft entwässern. Aber so eine Wetterlage hatten wir bisher nicht gekannt. Es war irgendwie besonders, einzigartig, schwülwarm und - und dann Dauerregen. Ein Tiefdruckgebiet setzt sich fest mit warm-feuchte Luftmassen aus dem Bottnischen Meerbusen und dem Golf von Biscaya. Ungewöhnlich hohe Temperaturen mit Regen in einem Ausmaß, das wir so nicht gewöhnt sind! Anders als bei einem normalen Gewitter. Die hören irgendwann mal auf.
Das Rückhaltebecken war schnell voll, (korrigiert sich: oder schon vorher voll), vielleicht reicht eines auch nicht mehr. Was dann folgte, ist ja bekannt. So ein Hochwasser hatte es in der seit dem 13. Jh.(1416) nicht mehr gegeben. Seit dem ist die Stadt stark gewachsenen und die Besonderheit, dass die Erft mitten durch die Altstadt fließt hat sich tragisch ausgewirkt.
Die Mosel steigt und fällt
Ich habe Bekannte an der Mosel die auch betroffen waren, nicht so stark wie hier. Aber sie haben einen anderen Umgang damit.
“Die Mosel steigt und fällt“, sagen sie und sie sind gefasst auf sowas. Die Untergeschosse der Häuser werden öfter geflutet. Darauf ist man eingestellt. Auch hat man an der Mosel Staustufen, mit denen man etwas gegensteuern und regulieren kann.
Man lebt also anders mit dem Fluss und ist auf regelmäßige Schwankungen eingestellt. Ich würde sagen, man hat einen Langmut entwickelt. Ist es soweit, werden die Stühle hochgestellt und alles Wertvolles beiseite gebracht. Doch so etwas wie im Juli haben hier bei uns Generationen nicht erlebt.
Wir waren gewarnt
Wir waren auch schon mehrfach gewarnt, aber über das Ausmaß hat sich niemand Rechenschaft gegeben. Selbst die Feuerwehr vor Ort ist abgesoffen.
Bad Münstereifel ist eine historisch gewachsene Stadt, im Mittelalter begann initiiert durch die Benediktiner und später durch die einsetzende Pilgerbewegung stark gewachsen ist. Die Ortslage war damit unveränderbar wenn auch aus heutiger Sicht nicht optimal.. Heute fließt die Erft als zentrale Achse durch den Ort und ist in ein mit Brücken garniertes künstliches Flussbett gelegt. Das flussabwärts gelegene Iversheim bekam von der der Flut sogar noch sehr viel mehr ab.
Als es passierte
Am Werther Tor kam alles zusammen: nach der ohnehin Jetstream-artige Verstärkung der Niederschläge kam es zu einer Art Düseneffekt an den Engstellen in den Stadttoren. Die Erft hatte sich angestaut und floss dann durch alle Öffnungen in die Altstadt. Besonders hinter allen Stadttoren und Lücken am Stadtmauer-Ring gabe es durch Verwirbelungen besonders starke Zerstörungen.
In einigen unterkellerten Häusern sprangen Pumpen in den Häusern an, die schnell wieder ausfielen, als der Strom wegbleibt.
Das Hochwasser von 2016 war anders: viel lokaler schwollen Nebenbäche an und überschwemmten z.B. einen Friedhof überschwemmt in Gilsdorf. So wie diesmal war es noch nie. Die Wetterlage glich eher einer Gewitter-Situation als einem Dauerregen.
"Anno 1416 fiel bey nacht ein Wolkenbruch ernieder über der Statt Munster Eyffel, da die Leute schlieffen, reis ein gros theil der Mauren
und Statt hinweg, ertrenckte viel Volkes und Viehes, die hernach ein Meil oben der Statt im Felde gefunden wurden, führte weg und verderbte ein großes Gut." (Katz. S. 366; Mün.Ztg. 1903/38)
6. Juli 1416: Man sprach damals von 200 Toten und 3000 ertrunkenen Stück Vieh.
MG.: Was passierte in der Zeit danach?
JK.: Im Nachgang haben wir es neben den Elend und der Obdachlosigkeit auch mit starken Verschmutzungen zu tun: Öltanks und Abfälle, Gifte, solche Dinge verbreiten sich unkontrolliert in den Fluten. Trotzdem sehe ich hier in BM einen Sonderfall.
Der Aktivkreis Handel und Gewerbe und die City-Outlet-Betreiber haben sich stark engagiert und dadurch konnte sich eine Art Aufbruchstimmung verbreiten. Die ‘Bleibe-ich oder gehen ich Frage’ wurde von fast allen positiv beantwortet.
Aufbruchstimmung statt Verzweiflung
JK.: Ich sehe das trotzdem etwas kritisch, man denkt eher kurzfristig, man denkt an den Wiederaufbau des gehabten, man denkt aber nicht an Vorsichtsmaßnahmen, die vielleicht notwendig wären. Ein zweites Rückhaltebecken nahe bei der Stadt ist meiner Meinung nach notwendig.
Als erste Maßnahme noch während des Hochwassers wurde ein Greifkran auf einer Brücke positioniert um Baumstämme herauszufischen.
Wir waren zuerst überrascht, wie es Städte in der Ebene, wie Euskirchen oder Rheinbach getroffen hat. Beide Orte waren vollkommen überschwemmt.
Bad Münsterfeifel Innenstadt | September 2021
Die Ahr hat es um einiges schlimmer getroffen, in BM hat sich die Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian für eine schnelle Reparatur der Gasanschlüsse eingesetzt. Wir sind noch gut im Zeitplan. Aber allein für den Abtransport des Abraum für BM hat 10 Mio gekostet, dazu kommen in der Region nochmal 250 Mio und für Privat noch einmal so viel. Wo soll das Geld herkommen?
Wir werden es hier mit provisorischen Straßendecken und mit richtigem Pflaster erst ab dem Sommer 2022 rechnen können. Es ist wirklich noch viel zu tun. Ich glaube, das wird unterschätzt. Zum Beispiel das solide Gründen von den Natursteinmauern, die es hier überall gab. Die Wiederherstellung des alten Baubestandes stößt auf Schwierigkeiten. Besonders wegen der vielen Schadstoffe im Wasser und der langwierigen Trocknung.
Vielerorts werden Proben genommen, Fachwerke saniert und Gefache herausgenommen. Einer unserer Schulen wurde bis in den 1. Stock überschwemmt. Bei der Sanierung muss der gesamte Boden herausgenommen werden. Der Schulleiter hat die Klassen in der benachbarten Realschule untergebracht. Unterricht findet auch in der Jugendherberge statt … sogar Fernunterricht der Schüler untereinander.
MG: Was sind die positiven Erfahrungen?
JK: Ein niederrheiner Klassenkamerad mit dem ich vor 75 Jahren zur Grundschule ging rief mich an und spendete spontan 4000 € (“Ihr seid doch da abgesoffen..”). Der Rotary Club spendete eine halbe Million und hat das noch sehr schlau angestellt. Alle ohne Elementarversicherung, die ihr Haus verloren hatten oder Schäden über 20.000 € hatten, und das bildhaft belegen konnten, bekamen leihweise kostenlose Trocknungsgeräte, Waschmaschinen und eine Summe von bis zu 1000€. Das war so wichtig für die Leute, für die Motivation und die Psyche. Dann kam eine Feuerwehreinheit aus dem Nordschwarzwald um zu helfen, das war auch großartig.
Es sind viele überwältigende Spenden eingegangen.
Eine Sache noch, mit Sachspenden gibt es eher Probleme. Niemand denkt das zu Ende. Denn die sind problematisch in der Verteilung, werden irgendwo abgeladen und es gibt keine Verteil-Richtlinien.
Es gibt große Probleme an einen Handwerker zu kommen, dazu kommt, das NRW keine Baugenehmigungen mehr für Bauen auf der Grünen Wiese erteilt. All das stellt die Leute in ihrem Tatendrang vor Probleme.
Ein Niederrheinische Landwirt kam hierher und hatte an der Ahr viele Leute koordiniert und auch die Inhaber des City Outlets und der mittelständische Aktiv Kreis spielten in BM eine besondere Rolle.
We make Bad Münstereifel great again!
Ist der Slogan der hier ausgeben wurde.
MG: Siehst du bei den Betroffenen einen Effekt, bei ihrem ‘Neustart’ etwas grundsätzliches in Sachen Klima zu verändern?
JK: Nein, eher nicht, oder nicht sofort.
Es gibt aber Nebeneffekte. Ein gesellschaftliches Phänomen quasi: Man kümmert sich wieder mehr um andere, Nachbarn oder organisiert sich mehr ehrenamtlich in Vereinen. Bürger-Cafés sind entstanden, die Leute machen wieder mehr zusammen.
Wir haben hier das örtliche Café T vor der Tür, geführt von zwei Homosexuellen. Die haben offensiv “Wir machen weiter.” an die Tür des zerstörten Betriebes gehängt. Das gab einen wahnsinnigen Impetus für alle anderen!
Es gab Benefizkonzerte, Cantor, alle machten was und zwar ohne Honorar. Es gab auch Spenden für die Bürgerstiftung. Eine Nachbarin, von der ich nie erwartet hätte, das sie sich sozial engagiert, packte auf einmal mit an. Man sieht sehr viel Positives!
Das alles ist auch eine Chance für Bad Münstereifel.
Aufbruchstimmung getrieben von wirtschaftlichen Interessen
JK: In Bad Münstereifel habe ich das nicht gehört, dass jemand in Zukunft etwas anders machen will oder dass er oder sie die Katastrophe auf das eigene Handeln zurückführt. Hier herrscht eine Aufbruchstimmung die getrieben ist von wirtschaftlichen Interessen. Wir machen Bad Münstereifel schöner als vorher ist die Botschaft. Die Frage, was wir tun müssen damit das nicht nochmal passiert, wird nicht so gestellt.
MG: Vielen Dank Jürgen!