Touren- & Reisetipp Aostatal 2025

Donnas, Wein & Bürgermeister

Es ist noch früh am Morgen, als wir ins Hochtal von Cogne einfahren. Nebel hängt zwischen den Fichten, die ersten Sonnenstrahlen blitzen auf die Gipfel. Unser Ziel: Lillaz, ein kleiner Ort oberhalb von Cogne. Hier, im Agriturismo L’Étoile du Berger, beziehen wir Quartier. Das Haus aus dem 17. Jahrhundert wirkt von außen schlicht, innen empfängt uns der Duft nach frischer Milch und Kräutern. Auf dem Tisch steht schon eine Tagliere – so nennt man im Aostatal eine Platte mit Schinken, Speck, Würsten und Käsen. Mocetta, Boudin, Lardo d’Arnad, Fontina, dazu Brot, Honig, Konfitüren. Ein perfekter Einstieg: herzhaft, handgemacht, regional. Das Beste: wir werden mit Musik und Trachten empfangen. Ein Akkordeon, einen Butterfass und ein hölzernes Küchenwerkzeug dienen als Instrumente – wir sind fasziniert!

Dabei war die Anreise auch mit kleinen Hindernissen versehen: am 29. Juni 2024 hatte ein Aluvione, ein Hochwasser mit Starkregen die Zufahrtsstraße zwischen Aosta und Cogne komplett unterbrochen. Wegen Murenabgängen musstenhunderte Menschen per Hubschrauber evakuiert werden. Die Strecke blieb einen Monat lang geschlossen, die Baustellen bestehen immer noch.

Gestärkt brechen wir zur ersten Wanderung auf: Von Lillaz hinauf zu den ehemaligen Magnetitminen von Costa del Pino am Monte Creya. Ein Stück Industriegeschichte in 2400 Meter Höhe. Hier arbeiteten einst 1200 Menschen, förderten Erz, das später in Aosta zu Stahl wurde. Heute führen Guides der örtlichen Cooperative durch Stollen und über alte Trassen – und in den stillgelegten Gängen reifen nun DOC-Weine. Der Blick schweift über die Bergkämme, während wir lernen, dass schon die Römer hier Eisen abgebaut haben. Bemerkenswert finde ich die jungen Leute, die sich der Cooperative angeschlossen haben, die nun Führungen im 7 °C kalten Stollen durchführt.

Am Abend zurück in Lillaz. Im Restaurant Lou Tchappé serviert man deftige valdostanische Küche in einer warmen Stube. Wir probieren Polenta, Wildragout, ein Glas Fumin – ein würziger Rotwein aus dem Aostatal.

Die Minen von Cogne

Innerhalb von dreiviertel Stunden gelangt man zu Fuß von Lilaz zum Bergwerk Costa del Pino. Es handelt sich wahrscheinlich um die höchstgelegene Magnetitmine Europas!
Die Geschichte der Magnetitminen (eine Form von Eisenerz) am Monte Creya reicht vermutlich bis in die Römerzeit zurück. Das Bergwerk wurde bis 1979 mit einer kleinen Belegschaft betrieben und dann stillgelegt. Im Mittelalter besaß die Kirche die Abbaurechte, bis die Mine im Jahr 1679 an die Gemeinde Cogne verkauft wurde.  Von hier aus wurde das Stahlwerk Cogne Acciai Speciali in Aosta mit den Erzen versorgt. Das Erz wurde mit einer eigens gebauten Schmalspurbahn (Bergwerksbahn Cogne–Eaux-Froides) transportiert und anschließend über eine Materialseilbahn nach Aosta ins Stahlwerk gebracht. Dort wurde es verhüttet und weiterverarbeitet. Diese Bahn und der Transport waren bis in die 1970er Jahre in Betrieb, danach wurde der Bergbau eingestellt. Das Stahlwerk prägt bis heute den Vorort Quartiere Dora Aosta und bedeckt eine Fläche von 560.000 m².
Was wir erfahren: Hier arbeiteten bis zu 1.200 Menschen, die in einem Dorf oberhalb des heutigen Schachts lebten. Die Hochphase von Cogne Stahl war zur Zeit des Zweiten Weltkriegs mit jährlich rund 350.000 Tonnen Erz. Die Förderung erreichte in den 1940er Jahren ihren Höhepunkt.

Aosta-Wein Knigge vom Weinkenner Michel Golibrzuch

Wer dem Einheitsgeschmack internationaler Rebsorten abschwören will, ist im Aostatal genau richtig aufgehoben. In der kleinsten Region Italiens finden sich Weine, die in dieser Form wohl einzigartig sind. Grund genug also, das Zweirad zu parken, um Schlund und Satteltaschen zu verfüllen.

Das Klima und der sandige Boden der höchstgelegenen Weinberge Europas haben bewirkt, dass Aosta bis heute von einem Reblaus-Befall verschont geblieben ist. Ergebnis dieses geografischen Glücksfalls ist der Anbau einer Vielzahl fast vergessener Sorten entlang des Flusslaufs der Dora Baltea, etwa der Prié Blanc-Traube. Im „Rayon“ der Genossenschaft Cave du Vin blanc de Morgex et La Salle lässt sich erschlabbern, was ein rechter Gebirgswein ist: Nicht zu alkoholstark und mit einer feinen kristallinen Struktur, verweist der weiße Geschmacksbolzen auf sein rd. 1100 m hoch gelegenes Anbaugebiet.

Die Topographie verlangt den Winzern auch methodisch alles ab. Um der Schneelast der langen Winter zu trotzen, sind die für den Weinbau gezimmerten Holzgerüste hier auf Steinpflöcken, so genannten Pergolen, verlegt. Das Gestein vermag denn auch, die Sonnenwärme in der kurzen Vegetationsperiode von Anfang Mai bis Mitte September zu speichern und an die Weintrauben abzugeben – ein Umstand, den sich auch die Brüder Albert und Marziano Vevey mit ihren vorzüglichen Blancs Morgex zunutze machen.

Talabwärts kommt der Rotwein zu seinem Recht. Constantino Charrère verfügt mit gleich zwei Domänen über die größte Anbaufläche in Aosta. Während er unter dem Etikett „Les Cretes“ einheimische mit internationalen Rebsorten verschneidet, handelt es sich bei den unter seinem Namen angebotenen Roten ausschließlich um lokale Gewächse. Petit Rouge als Haupttraube, ergänzt mit Mayolet, Cornalin oder Fumin, sollten sich auch Motorrad-Touristen nicht entgehen lassen, gibt es doch außerhalb der Region fast keine Möglichkeit, diese Weine aufzutreiben. Neben Charrère seien auch der „Torrette“ des Maison Giorgio Anselmet und der „Torrette superieur“ von Di Barro zum Genuss befohlen!

Je weiter man ins Tal hinab steigt, desto eher stößt man wieder auf vertraute Trauben. Der aus dem Piemont bekannte Nebbiolo, hier Picoutener genannt, findet im klassischen Donnas der gleichnamigen Genossenschaft seine beste Ausprägung. Auch bei diesem Wein sollte man nicht zögern zuzugreifen, ist er doch vom demografischen Wandel akut bedroht. Die betagten Winzer der Kooperative beklagen trotz stattlicher staatlicher Unterstützung existenzbedrohende Nachwuchssorgen, da junge Leute inmitten der zahllosen Skigebiete nur schwer für die mühselige Reben-Pflege zu begeistern sind. Kurz und krumm: Genießen Sie den Donnas, solange es noch geht!

Tag 2 – Auf alten Saumpfaden

Frühstück im Agriturismo: hausgemachter Joghurt, Fontina, Bergbutter. Dann wandern wir los – vom Rifugio Peradzà durchs Tal des Wildbachs Urtier, vorbei an Bergseen, weiter über das Rifugio Miserin und dann nach Dondena im Champorcher-Tal. Ein Weg wie aus einem Naturfilm, mit Murmeltierpfiffen, Steinadlern und ständig wechselnden Blicken auf die Gipfel. Das Miserin ist ein Gipfel auf dem Tor des Geant 2025 Wettbewerbs und liegt neben dem gleichnamigen See mit kleiner Santuario Kapelle. Sehr sympathische Wirtsleute, hier gibt es auch Bed and Breakfast für 30 Euro.

Unten im Tal wartet der nächste kulinarische Stopp: Le Moulin des Aravis in Pontboset, eine restaurierte alte Mühle am Bach Ayasse. Mutter Piera kocht, Elena pflegt Garten und serviert. Auf dem Teller: Ravioli mit Wildkräutern, Ziegenkäse aus eigener Produktion, Apfelkuchen. Draußen plätschert der Bach, drinnen knistert (schon) der Holzofen. Als Interieur gibt es einen Sägewerkstisch und eine Anekdote um die Wasserrechte: in den 1960er Jahren, als der Energieriese ENEL die meisten der heute bekannten Stauseen anlegte, drohte man der Moulin im Tal mit Wasserabstellung. Nach einer langen Auseinandersetzung ruderte ENEL zurück und die Mühle (und weitere Dinge im Tal) konnten weiter betrieben werden. Heute genießen wir das Ambiente mit Zimmern im typisch valdaostanischen Holzstiel, einem Mini Spa mit Ausblick und der hervorragenden Küche, der Besten der ganzen Reise!

Ein paar Kilometer weiter besuchen wir das Magazzino di Stagionatura della Fontina – einen ehemaligen Militärbunker, in dem heute ein beträchtlicher Teil der Jahresproduktion des Aostatals von 250.000 Laiben Fontina DOP reifen. Feuchte, kühle Luft, der Geruch von Milch und Heu. Ein Käse, der ausschließlich aus Rohmilch dreier traditioneller Rinderrassen hergestellt wird und mindestens 80 Tage reift. Hier wird die alpine Käsetradition des Aostatals greifbar. Angesichts der hier erfahrbaren händischen Käseproduktion stelle ich mir die Frage, ob es im Aostatal mehr Menschen oder mehr Milchkühe gibt. Bei 122.700 Einwohnern eine realistische Annahme.

Die Besichtigung der Burg von Issogne mit ihren Fresken und dem Prunkhof aus der Renaissance muss leider ausfallen. Dafür gibt es eine Weinprobe in der Winzergenossenschaft (Cooperativa) von Donnas direkt an der Hauptstraße. Es werden vier Weine verkostet, dazu gibt es die obligatorische Taglière und einen Ausflug zu den Weinreben. Der Qualitätswein wird auf Terrassen und Gerüsten aus Kastanienholz angebaut. Hier gedeihen Torette und Nebbiolo (Picotendro) in Rot, Freisa und Neyret sind die geringer auftretenden Weißweinreben. Dass auf manchen alten Flaschen Donnaz statt Donnas steht, erklärt uns der Winzer mit dem Italienisierungswahn der italienischen Faschisten in den 1930er Jahren. Als Erstes nach der Befreiung kam das S wieder zu Donnas zurück. Mehr dazu in unserem Weinknigge von Michel Golibrzuch.

Im Tal wartet das Agriturismo Lou Rosé in Donnas auf uns. Es bietet Unterkünfte in einem renovierten historischen Gebäude aus dem 18. Jahrhundert in ruhiger Lage. Da nicht alle mitkommen können, fahren zwei von uns weiter zu einem abgelegenen Agriturismo namens Le Rocher Fleurì, in dem uns Roberta trotz der späten Stunde freundlich empfängt. Morgens werden wir von den Regungen der 38 Kühe, 12 Ziegen und Schafe geweckt.

Tag 3 – Über den Colle di Nana zum Käse

Am Morgen schraubt sich die Straße in Serpentinen nach Saint-Jacques hinauf. Dort schultern wir die Rucksäcke und steigen mit unserem Guide Marco über den Colle di Nana zum Agriturismo La Tchavana auf, einer Sommer-Alm auf 2000 Metern. Die Wanderung dauert vielleicht 2 Stunden.
Luca, einer der Betreiber, begrüßt uns mit einem festen Händedruck. Hier oben gäbe es kein Plastik, alles stammt aus eigener Herstellung, sagt er und deutet auf die Plastikbecher, die aus einem verrottbaren Material bestehen. Danach gibt es Schafsbutter auf Brot und einen pickligen Weißwein - bravo!


Acht verschiedene Käsesorten, darunter die berühmte Fontina Alpeggio No. 48, die nur im Sommer entsteht, wenn das Gras besonders aromatisch ist. Wir dürfen einen Blick in die kleine Käserei werfen und sitzen danach auf der Terrasse mit Blick auf das Monte Rosa Massiv, an den sich Castor und Pollux anschließen.

Später geht es hinunter ins Tal zum Agrarbetrieb Douce Vallée di Vittaz Paola in Ayas-Châtillon. Ein Familienunternehmen, das handwerkliche Obstessige und Weine produziert – Himbeere, Heidelbeere, Apfel, Birne, Pflaume, sogar Mango und Granatapfel. Mild, fruchtig, ohne Zusatz von Weinessig. Wir kosten uns durch kleine Gläser: süßsauer, duftig, überraschend. Die Familie arbeitet zu dritt, exportiert bis nach Kanada und Saudi-Arabien.

Übernachtung im Hotel Milleluci in Châtillon-Fénis (Aostablick). Draußen ziehen Wolken über den Himmel, in der sympathischen und preisgünstigen Birrificio B63 in Aosta klingt der Tag bei regionalem Bier und Arrosticini aus.

Agriturismi in Italien

In Italien versteht man unter Agriturismo die Kombination aus Landwirtschaft und Gästebeherbergung. Landwirte, die einen Agriturismo eröffnen, behalten ihren landwirtschaftlichen Status. Das bedeutet, dass sie nachweisen müssen, dass die Landwirtschaft die Haupteinnahmequelle bleibt. Außerdem dürfen sie nur in bestehenden Gebäuden Gäste unterbringen. Dafür genießen sie deutliche Steuererleichterungen. Die Einnahmen aus Übernachtung und Verpflegung werden pauschal nur zu 25 Prozent als steuerpflichtiges Einkommen angesetzt und die Mehrwertsteuer liegt in der Regel bei zehn statt 22 Prozent.

Für zusätzliche Angebote wie Kurse oder Ausflüge kann jedoch der normale Satz gelten. Parallel dazu gibt es umfangreiche Fördermöglichkeiten. Über die EU-Regionalprogramme zur ländlichen Entwicklung (PSR) können 30 bis 60 Prozent der Investitionskosten für Umbau, Ausstattung, Barrierefreiheit oder Energieeffizienz als Zuschuss fließen. In vielen Regionen kommen zudem Steuergutschriften für Renovierungen oder energetische Maßnahmen hinzu, die je nach Programm bis zu 65 Prozent der Ausgaben abdecken. So schafft der Agriturismo einen steuerlich begünstigten und geförderten Zusatzverdienst, der es kleinen Betrieben erleichtert, zu überleben und die Kulturlandschaft zu erhalten.

Tag 4 – Von Äpfeln, Römern und Pilgern

Am nächsten Morgen besuchen wir Cofruits in Fénis-Saint-Pierre. Die Kooperative gewinnt aus den Äpfeln der Region Säfte, Cidre und Brennmaterial aus Trester. Bio ist hier kein Thema – zu kleinteilig, zu teuer –, aber konsequent regional. Der Cofruits-Einkaufsladen erfüllt alle unsere Einkaufswünsche: Hier gibt es Apfelkisten (Renette oder Royal Gala für 1 bis 1,50 € pro Kilo), Wurstwaren und Holzschuhe – alles, was das valdaostanische Herz begehrt!

Schließlich erreichen wir die Hauptstadt des Aostatals: Aosta. Oft „die römischste Stadt nach Rom“ genannt, wurde sie 25 v. Chr. als Augusta Praetoria gegründet. Noch heute sind Stadtmauer, Augustusbogen, römisches Theater und Straßenraster erkennbar. Wir spazieren auf der Via Francigena, der alten Pilger- und Handelsstraße, die hier durchzieht, und stellen uns vor, wie vor Jahrhunderten Händler, Mönche und Könige denselben Weg gingen. Auch die Questura vom Fernseh-Vice-Questore Rocco Schiavone ist hier um die Ecke. Nicht nur Marco Giallini, sondern auch das Tal ist dadurch mehr in die Öffentlichkeit gerückt. Nebenbei ist Rocco1000 x interessanter, als die langweiligen deutschen Tatort Commissarios und Möchtegern Italiener.

Aosta ist kein Hochpreisgebiet hochwertige Lenbensmittel zu bodenständigen Preisen

Die Tage im Aostatal waren mehr als eine Erlebnisreise, durchgeführt vom Agrarministerium. Sie waren eine Annäherung an eine Region, die Altes bewahrt und Neues wagt. Ob in der Bergwerkshalle, in der heute Wein reift, oder in einer Alm, die Plastik meidet und traditionelle Käse neu denkt. Ob im Obstessig aus Himbeeren oder in der Polenta mit Wildragout.

Zwischen Gipfeln, Gämsen und Gletschern liegt eine Esskultur, die erdverbunden und kreativ ist. Wir kamen als Besucher und gingen mit dem Gefühl, dass hier jeder Teller, jede Wanderung und jede Geschichte Teil eines größeren Ganzen ist – einer Landschaft, in der Natur, Arbeit und Genuss untrennbar zusammengehören.

Der Rest ist schnell erzählt: Zum Abschied gab es ein Mittagessen im Agriturismo / Ristoro Le foyer de Grand-Mère, das inhabergeführt ist (der Bürgermeister) und wert auf Produkte aus eigener Produktion der Kategorie „km-0“ legt. Er erklärt uns auch, warum Agriturismi in Italien eine so gute Möglichkeit für kleine Betriebe sind.

Dann die große Verabschiedung ohne Tränen, am Castello von Fenils. Wir kommen wieder – mit Motorrad und Familie.
Noch eine Anmerkung: Ich weiß nicht, wie Italien das immer schafft, aber selbst die Atmosphäre am Flughafen Malpensa ist angenehmer als an jedem deutschen Flughafen. Die Menschen sind tiefenentspannt, der Cappuccino für 2,60 € wird liebevoll zubereitet. Warum geht das nicht in der Schweiz oder auf deutschen Flughäfen?

Winterlicher Tipp: Fiera di St. Orso jedes Jahr am 30. / 31. Januar: Handwerker und Kleinkunstmesse in Aosta und Nachbartälern.