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Documenta der Schande?

18. Juni bis 24. September 2022

Meinung: Documenta Fifteen | Ausflug nach Kassel

Die Wellen schlagen hoch, die documenta 15 ist stark in der Kritik. Ich machte mich auf, um mich von der zeitgenössischen Kunst inspirieren zu lassen. Das war eine gute Idee.

Auf das Argument der Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta als Ganzes möchte ich gar nicht einsteigen, ich beabsichtig aber auch nicht einzelne Vorgänge zu verharmlosen.
Die documenta findet alle 5 Jahre in Kassel statt und gilt als größte Kunstveranstaltung ihrer Art. Erstmalig hatten asiatische und afrikanische KünstlerInnen-Gruppen hier die Regie, das Kuratorium. Die ehemalige Expo 2000 Themenpark Chefin, Sabine Schormann ist die verantwortliche Generaldirektorin; sie ist sonst Kulturmanagerin an der Uni Kassel.

Taring Padi | documenta 15, Hallenbad-Ost

Auf der documenta 15 stellen rund 1500 Künstler und Künstlerinnen aus. Ein Kollektiv davon sind die indonesischen Taring Padi, sie sind von den dominierenden Vorwürfen betroffen. Die Gruppe besteht seit 1998 und gilt in Indonesien als progressiv. Ihr Triptychon-Bild People's Justice zeigt die schlimmen Folgen des Suharto Regimes (damals ein guter Freund Helmut Kohls) im Zuge dessen mehrere Hunderttausend Menschen umkamen. Es gibt eine Reihe neuere Bilder dieses Künstlerkollektives dessen Motive Solidarität, Menschenrechte, gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen und soziale Bewegungen sind. Sie stellen hauptsächlich am documenta Ort Hallenbad-Ost aus.

Antisemitisch oder nur gesellschaftskritisch?

Aufgrund der Antisemitismus-Vorwürfe schaltete sich der Bundespräsident und die Kulturstaatsministerin ein. Sie stellen schnell nicht nur diese antisemitischen Details, sondern die ganze documenta in Frage. Schon ist die Rede über das Ende dieser weltweit bekannten Kunstausstellung, die (nicht gerade progressive Kunst-freundliche) CDU/CSU Fraktion prüft sogar, ob diese 'Schande für Deutschland' rechtstaatliche Konsequenzen haben muss. Inzwischen hat das Kuratorinnen-Kollektiv Ruangrupa klargestellt, das auch israelische und jüdische Künstler(innen) anonym mit Werken an der documenta teilnehmen.

Die Documenta soll einpacken?

Den Künstlern kommt das so vor, als ob aufgrund eines gelben-Ampel-Verstoßes der ganze Kunstbetrieb dicht gemacht werden soll. Doch es gibt auch andere Erklärungsansätze. Harald Neuber schreibt auf Heise Telepolis über die 'Documenta des Scheiterns' und bildet mehr kulturhistorische Hintergründe ab. Weitere Lesearten von Taring Padi bietet auch Michael Rotberg in der Berliner Zeitung. Über unterschiedliche Antisemitismus-Standards schreibt auch Hanno Haustein. Taring Padi haben sich entschuldigt, sich zu erklären versucht, doch das fand kaum Anklang. Antisemitismus ist kein Kavaliersdelikt, aber es geht um wenige Quadratzentimeter in einem riesigen, 20 Jahre alten Bildnis. Andere Aufhänger sind "Guernica Gaza" des palästinensischen Künstlers Mohammed Al-Hawajri, das keine israelischen KünsterInnen auf der documenta 15 vertreten sind oder die wirklich seltsamen 'Subversive Film' von japanischen Künstlern. Auch weil das Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa bzw.'The Question of Funding' sollen einen Letter of Apartheit unterstützen, dessen Inhalt auf Recherchen von Amnesty International zurückgeht. Ihnen wird eine Nähe zur BDS-Bewegung unterstellt.

Taring Padi | documenta 15, Hallenbad-Ost

Mein Eindruck ist, das Taring Padi, ein vom Altersdurchschnitt her sehr gemischtes Kollektiv, dieses 20 Jahre alte Banner ungeprüft aus dem Archiv gezogen hat und sich darüber, wie Details daraus in Europa aufgenommen werden könnten kaum Gedanken gemacht hat. Nur muss die Politik derart darauf reagieren, wenn sich sonst in deren Portfolio keine menschenverachtenden Bildnisse befinden?

Kunstfreiheit & Zionismus

Die documenta der mehr als 1000 anderen Künstler und Künstlerinnen wird durch diesen einzigen vorherrschenden Diskurs abgewertet, Diskussionen unterbunden und das Image der Ausstellung beschädigt. Das ist Schade, denn es lohnt sich auf jeden Fall die Themenschwerpunkte der Ausstellung zu betrachten: Menschenreche, schlimme Arbeitsbedingungen, Rohstoffabbau, Verschmutzungen der Umwelt, Flucht & Vertreibung, Solidarität und Ausbeutung, aber auch den Konflikt im nahen Osten.

Kohl's 'Waffenbrüderschaft': Hubschrauber, Panzer, 39 NVA-Kriegsschiffe

Es sind die nachhaltigen, positiven oder investigativen Aspekte, wie Selfmade Workshops, Umgang mit natürlichen Baumaterialien, befassen mit der Geschichte der einzelnen Länder, die die Chance auf künstlerischen Austausch auf der documenta ausmachen. Grenzen von Kunst und Politik verschwimmen hier.
Wie hier, wo Birgit Gärtner 2012 über den Deal Helmut Kohls mit Indonesien schreibt: Panzer für Palmöl. Der verkaufte die gesamte (!) Kriegsmarine der DDR (39 Schiffe aus NVA Beständen, 1994 geliefert) und mehr als 100 Panzer an das Suharto-Regime. Mit Rheinmetall Defence, dem im Kassel produzierenden Rüstungsbetrieb unterschrieb man einen weiteren 'Technologietransfer-Vertrag'. Als Gegenleistung gab es über die mit dem Handelspartner der EU eine Option auf günstiges Palmöl, abgewickelt über die Firma Wilmar International.

Zumindest haben die Künstler-Kollektive alles Recht der Welt, auf solche Deals und Missstände aufmerksam zum machen. Ich danke ihnen dafür. Vielleicht hätte man das tatsächlich antisemitische Detail abdecken sollen, aber mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, wie es Steinmeier, Roth oder Dorothee Bär es taten, ist sicherlich übertrieben und - unterbindet eine Diskussion über die Highlights der Documenta fifteen.

Die Reise zur Documenta durch Weserbergland, Reinhardswald entlang von Weser und Fulda ist immer ein Erlebnis, genauso wie die Kunst der diesjährigen Documenta, verteilt auf 32 Ausstellungsorte.

  • Stellungnahme von ruangrupa vom 9.7.22 (Redebeitrag VON ADE DARMAWAN im deutschen Bundestag)
  • Erneute Stellungnahme von Sabine Schormann (13.7.)
  • Neben Fridays for Future (Kassel bis 10. Juli) führt auch die Initiative 'Rheinmetall Entwaffnen' vom 30.8. bis 4.9. ein Camp in der Goetheanlage der Stadt Kassel durch. Rheinmetall stellt in Kassel 'taktische Radfahrzeuge und Prototypen' her. Auch Wintershall Dea, Krauss-Maffei Wegmann haben Firmensitze oder Produktionen in der Documenta-Stadt.

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