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M+S Enduroreifen-Chaos in Italien?

Klaus Pescolderung: Polizeichef von Bozen
Klaus Pescolderung: Polizeichef von Bozen

Die gute Nachricht vorweg: In Italiens Gesetzgebung hat sich nichts zum Nachteil von Motorradfahrern verändert. Auch wenn Anfang 2014 ein Aufschrei durch die Presse ging, dass bestimmte M+S Reifen ab nun an in Italiens Sommer unerwünscht sein, entspricht das nicht ganz den Tatsachen.

In Italien treten regional unterschiedlich zwischen Herbst und Frühling Bestimmungen für das Fahren mit Winterreifen in Kraft. Außerhalb dieser Zeit verlieren die Regelungen ihre Gültigkeit. Ein Rundschreiben des italienischen Ministeriums für Infrastrukturen und Transportwesen brachte die Problematik in die deutschsprachige Presse. Anscheinend hielt man den Text für ein neues Gesetz, doch bekräftigte dieses Schreiben lediglich geltendes italienisches Recht und weist Behörden und Öffentlichkeit darauf hin, dass im Sommerhalbjahr gefahrene Reifen unbedingt den Fahrzeug-immanenten Geschwindigkeitsindex einhalten müssen. In Italiens Winter dürfen (wie auch in Deutschland) Reifen mit einem niedrigeren Index als in den Fahrzeugpapieren ausgewiesen gefahren werden. Im Grunde plädiert man in Italien mit dieser, schon seit Jahren geltenden Maßnahme, für mehr Verkehrssicherheit. Im Sommer gefahrene Winterreifen verursachen laut einer Studie schon bei Autos einen bis zu 25 % längeren Bremsweg.

Diese Meldung mit der Androhung von drakonischen Strafen verunsicherte zu Recht Enduristen in ganz Europa – sollte man fortan per Gesetz die italienischen Militärstraßen nur noch mit Straßenprofilen bereisen dürfen? Wir fragten Reifenhersteller und den Südtiroler Polizeidirigenten von Bozen.

Klaus Pescolderung | Polizeichef von Bozen

»Es ist in Italien grundsätzlich nicht verboten im Sommer mit Winterreifen zu fahren.«

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„Es gibt kein Gesetz vom 15.4.2014 - Winterreifen. Wahrscheinlich bezieht man sich auf die Winterreifenpflicht auf lokaler Ebene (meist durch Verordnung der Regionen, Provinzen und Gemeinden) die ja meist im April außer Kraft tritt.
Grundsätzlich ist es nicht verboten im Sommer mit Winterreifen zu fahren.
Wie Sie schon wissen ist der Geschwindigkeitsindex, welcher im Zulassungsschein eingetragen ist, maßgebend. Er darf nicht kleiner sein, sonst droht, wie bei allen anderen Fahrzeugen, eine Strafe von 419 € bis1682 €. Der Zulassungsschein wird eingezogen und das Fahrzeug muss zur Revision. Es ist ratsam, dass die Reifen mit der Eintragung im Zulassungsschein übereinstimmen. Der in Deutschland notwendige Aufkleber mit der Warnung 'bis maximal 160 km/h' hat in Italien keine besondere Geltung.“

Aus dieser Auskunft gehen zwei wesentliche Dinge hervor: Nach der Auskunft aus Bozen handelt es sich lediglich um ein Rundschreiben ohne bindende Wirkung. Das Ministerium macht darin turnusgemäß auf geltende Daten und Fristen aufmerksam. Auch das ‚Revision’ in Presseartikeln mit ‚Beschlagnahmung‘ übersetzt wird, ist eine dramatische Zuspitzung. Fahrzeuge müssen nach einer Mängel-Feststellung, wie auch hierzulande, bei einer technischen Abnahme vorgeführt werden.

»Enduroreifen sind in erster Linie Geländereifen, keine Winterreifen«

Nun sind Enduroreifen (mit oder ohne M+S Kennung) in erster Linie Reifen, die sich für Geländefahrten eignen und dort die Fahrsicherheit erhöhen sollen. Sie sind keine expliziten Winterreifen. Auch diese Argumentation könnte helfen. Die Aufdrucke mit der Kennung M+S unterliegen bekanntlich keinen besonderen Bedingungen, sie werden aber oft als Synonym für Winterreifen verwendet. In Deutschland tauchten M+S Aufdrucke auf Motorradreifen erst vermehrt nach der Einführung der situativen Winterreifenpflicht ab 2010 auf.

Aus unserer Auskunft aus Bozen lesen wir auch, dass die italienische Polizei nicht explizit Jagd auf Motorradfahrer aus In- und Ausland machen wird. Eine klassische Situation für eine Ordnungswidrigkeit wäre die eilige Heimfahrt mit überhöhter Geschwindigkeit auf groben Enduroreifen. Der Menschenverstand gebietet, dass die italienische Polizei angepasste Endurobereifung auf unasphaltierten Wegen nicht ahnden wird. Ein Restrisiko bleibt qua Gesetz unverändert bestehen.

Der Sonderweg Deutschlands geht in der StVZO darauf zurück, dass die Bundesrepublik das einzige Land ist, in dem es kein allgemeines Tempolimit gibt. Daher gebietet § 36 der StVZO in Satz 1, dass die für M+S Reifen zulässige Höchstgeschwindigkeit im Blickfeld des Fahrzeugführers ‚sinnfällig angegeben‘ ist und eingehalten werden muss. Der Paragraf unterscheidet aber nicht – wie in Italien – zwischen Sommer und Winterbetrieb.


Außer Spesen nichts gewesen? Wer in eine Kontrolle kommen sollte, sollte darauf hinweisen, unverschuldet in diese Zwickmühle gekommen zu sein. Der Hinweis auf Offroad Aktivitäten (ital.: fuori strada) könnte ebenfalls hilfreich sein, bei groben Verstößen aber nicht unbedingt die Straffreiheit garantieren. An dieser Stelle, genau wie bei der Verwendung von nicht ECE geprüften Helmen, scheint Europa noch nicht harmonisiert.

Motorradreisefuehrer bat Reifenhersteller um ein Statement:

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Continental | Volker Plett, Conti Technical Product Service MC

In Italien gibt es schon seit 1995 die Erlaubnis, während der Wintersaison M+S Reifen bis hinunter zum Speedindex M zu fahren. Davon muss man im Umkehrschluss ableiten, dass solche Reifen im Sommer nicht gefahren werden dürfen. Alleine die derzeitige Diskussion könnte dazu führen, dass die Carabinieri jetzt verstärkt auf die Einhaltung der Gesetze achten werden.

Im Grunde ist die ganze Diskussion in Europa (außerhalb D) unnötig, da dort max. 130 km/h (Polen/Bulgarien: 140 km/h) gefahren werden darf. Diese Geschwindigkeit decken nahezu alle M+S-Motorradreifen ab (Index M, bzw. N). Der bei uns vorgeschriebene M+S-Aufkleber macht tatsächlich nur in Deutschland Sinn, wegen der nicht vorhandenen Geschwindigkeitsbeschränkung – in allen anderen Ländern ist er völlig überflüssig.

Aktuell müssen wir davon abraten, in Italien außerhalb der Wintersaison mit M+S-Reifen zu fahren, deren Speedindex unterhalb der zulässigen Fahrzeughöchstgeschwindigkeit liegt. Wir empfehlen Enduristen daher unseren neuen TKC 70, dessen Speedindex bis hinauf zu V (=240 km/h) reicht.

 

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Mitas | Daniel Uebrick | Marketing – Brand Promotion

Reifen wie in Deutschland eintragen zu lassen ist auch in Italien möglich. Dies würde leider die erleichterte deutsche Freigabepraxis für Italienfahrer hinfällig erscheinen lassen. Die benutzten Reifen müssten dann immer in den Papieren erscheinen, um sich gegen eine italienische Polizeikontrolle zu wappnen. Im ersten Schritt könnte das sicher helfen, sich auf die geltende deutsche Praxis zu beziehen. Alleine mit einer Freigabe und dem entsprechenden Aufkleber könnte es eng werden.

Ein Beispiel: Der BMW Wasserboxer hat „V“ eingetragen. Das bedeutet, alle Reifen mit einem Index unterhalb von V wären im italienischen Sommer illegal. Womit sie nach europäischen Recht auf der sicheren Seite sind, M+S hin oder her. Auf der EICMA haben mir italienische Motorradfahrer ihren Schein gezeigt, in dem der Mitas E-07 eingetragen war – mit der Auflage des Aufklebers. Auch das scheint dennoch möglich.

Es läuft also alles darauf hinaus, dass Deutsche Sonderwege (Freigaben) nicht mehr anerkannt werden und der kostenpflichtige Gang zum TÜV in jedem Falle Vorschrift wird.

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Reifenwerk Heidenau | Pierre Schäffer | Leiter Vertrieb

 

Fahrer von Reiseenduros, die aufgrund persönlicher Präferenzen grobstollige und damit fast immer „M+S“-gekennzeichnete Reifen verwenden, sind in Italien von der Regelung betroffen und somit in der Wahl der Bereifung stark eingeschränkt.

Unserer Meinung nach hat ein längerer Bremsweg (höheres Unfallrisiko) nichts ursächlich mit dem Geschwindigkeitsindex zu tun. Auch Billig-Sommerreifen bremsen schlechter als Premium-Winterreifen. Auch, weil Italien ein Tempolimit hat (130 km/h) finden wir die Einschränkung absurd, auch in Anbetracht der hohen Strafen bei Missachtung.

Um ein drohendes Bußgeld abzuwenden, könnte die Mitnahme des (kostenpflichtigen) „Certificate of Conformity–Papiere“ (COC) helfen. Ob das im Falle der Kontrolle hilfreich ist, kann man von hier leider nicht vorhersagen.
Wir hoffen, dass sich auch in Italien Widerstand regt und diese zweifelhafte Regelung zugunsten einer in ganz Europa geltenden überarbeitet wird. Bis dahin muss bei Fahrten nach Italien die genannte Verordnung auf jeden Fall ernst genommen werden.

Die Pressestelle von Metzeler / Pirelli Deutschland (Uwe Geyer) wollte sich nicht weiter äußern, da es sich um ein italienisches Verkehrsgesetz handelt.

Dieser Beitrag ist auch in MotorradAbenteuer (2/2015) in einer Kurzversion erschienen.

 

Links + Infos

 

[…] (1) gilt die Forderung hinsichtlich der Geschwindigkeit auch als erfüllt, wenn die für M+S-Reifen zulässige Höchstgeschwindigkeit unter der durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs liegt, jedoch

  1. die für M+S-Reifen zulässige Höchstgeschwindigkeit im Blickfeld des Fahrzeugführers sinnfällig angegeben ist,
  2. die für M+S-Reifen zulässige Höchstgeschwindigkeit im Betrieb nicht überschritten wird.

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