Mineralisch oder Synthetisch?

Doc Jochen Wirsching über Öle
Doc Jochen Wirsching über Öle


Immer wieder die gleiche Frage: Welches Öl ist gut für mein Motorrad und für die Umwelt? Diese Frage stellen sich viele erneut bei jedem fälligem Ölwechsel. Hersteller empfehlen gerne was, der Händler auch. Das ist meist nichts 'schlechtes', meist aber teuer und es hat mehr etwas mit Marketing und Provisionen zu tun, als mit Umweltverträglichkeit.

Hier also der Versuch einer Antwort von einem Dr. der Chemie, tä-tä:
 
Vom Namen her eindeutig – synthetisch klingt umweltschädlicher. „Mineralisch“ kennen wir von den Kalkbodenbeschreibungen von gutem Riesling, „synthetisch“ klingt nach Rohrgeflechten aus der Chemieindustrie. Aber wie ist es wirklich?

 
Um es genau zu beantworten, müssten wohl ein Chemiker aus der Mineralölindustrie, der die chemischen Zusammensetzungen, die genauen Prozessschritte der Verarbeitung und vor allem die Zusammensetzung der Additivpakete kennt, und ein Ökobilanz-Umweltwissenschaftler eine gemeinsame Studie starten.

Vermutlich ist so etwas schon geschehen, aber leider werden solche Ergebnisse nicht öffentlich zugänglich. Mir ist auch kein öffentlich zugänglicher Produkttest in dieser Richtung bekannt, weder in „Ökotest“ noch in Auto- oder Motorradmagazinen. Wenn eine/r von Euch etwas weiß – nur her damit!
Zum Thema Ökobilanz weiter unten noch mehr! Weiterhin müssten zwei wichtige Elemente klar sein: wie ist die sogenannte „Nutzungsphase“ während des Motorradfahrens incl. genauem Benzinverbrauch (mehr/weniger bei einem Typ?) und was passiert mit dem Altöl nach der Entsorgung: hier kann man wohl davon ausgehen, dass beide zusammen ins gleiche Faß in der Werkstatt oder auf dem Wertstoffhof gehen. Und daher das gleiche Schicksal erleiden: raffinieren (circular economy) oder verbrennen (nix circular).


Selbstgemacht: Ölwechsel, aber welches?


Darüber hinaus verschwimmen heute die Bezeichnungen für Motoröle zwischen den beiden Begriffen: „teilsynthetisch“, „mit Synthese-Technologie“, „mit HC-Synthese (HC: Hydrocracking)“.

  • „Vollsynthetisch“ bedeutet, dass die Ölmoleküle wirklich von Einzelbausteinen her zum Kettenmolekül aufgebaut, also polymerisiert worden sind. Alle Moleküle sind dann gleich lang (bei mineralisch: Verteilung langer und kurzer Moleküle), so dass es weniger ausmacht, wenn eines davon zwischen den Getriebezahnrädern zermahlen wird (bei mineralisch: ein langes wird zerschoren - die Viskosität und andere Eigenschaften gehen in den Keller)
  • „Mineralisch“ bedeutet, dass das Erdöl, wie es aus dem Bodenkommt, raffiniert wird: es wird quasi gekocht und die Siededämpfe von Benzin über Öl bis zu Teer entnommen. Ein Teilschnitt ist dann das Motoröl.
  • „Teilsynthetisch“ bedeutet eine Mischung zwischen beiden.
  • einige der o.g. Zwischenbegriffe „mit Synthesetechnologie“ etc. beziehen sich auf Öle, die eigentlich heute den Hauptanteil an den Schmierölen darstellen. Sie sind durch Hydrocracking entstanden: man wirkt mit Wasserstoff auf das Erdöl ein, beseitigt die giftigen Aromaten und anderes und erzeugt ziemlich klar definierte Ölprodukte. Daher ist meiner Meinung nach die eigentlich unlautere Begriffswahl, die einen vollsynthetischen Molekülaufbau suggeriert, trotzdem halbwegs legitim.

 
Der Vorteil der synthetisch(er)en Basis-Öle ist, dass sie bei niedrigen (Start-) und hohen (Volllast-) Temperaturen schon ohne besondere Additivierung bessere Fließeigenschaften haben, d.h. bei kalt schon schmieren und bei heiß nicht abreißen.
 

Was die ökologischen Eigenschaften angeht, kommen dann natürlich noch die 20-30 Gewichtsprozent Additive hinzu, die erst die Öleigenschaften so wirklich erzeugen: Viskositätsindex-Verbesserer für hohe & niedrige Öltemperaturen, Dispergiermittel gegen Ölschlamm, um Teilchen bis zum Ölfilter in der Schwebe zu halten, Korrosionsverhinderer, Reinigungsmittel, Hochdruck (EP-)-Additive gegen „Fressen“. Diese Additive sind, was die Umwelteigenschaften angehen, ein Kapitel für sich, denn sie sind zum Teil metallorganische Verbindungen und umweltkritischer als das eigentliche Basis-Öl.

Ich höre immer, dass synthetisches Motoröl geringer additiviert wird als klassisches mineralisches. Dann ist es ein großer ökologischer Vorteil für das synthetische, denn das Additivpaket ist nicht gerade umweltfreundlich zusammengesetzt: viele schwer abbaubare Stoffe mit Toxizitätspotential!
Alles zusammengenommen bleibt wohl nur übrig, selber nach den Kriterien zu suchen, um die Frage im Titel zu beantworten. Mir fallen die folgenden Haupt-Umweltbelastungsmerkmale ein:

Herstellung mineralisches vs. synthetisches vs. Hydrocrack-Öl

 

  • Herstellung, Zusammensetzung & Toxizität des Additivpakets (ca. 25% der Ölmenge)
  • Mögliche Verlängerung der Wechselintervalle durch synthetisches Öl

 
Entsorgung nicht, denn die ist wohl für alle gleich. Man könnte noch „Einfluss auf Motorhaltbarkeit“ anführen, aber das ist vielleicht weniger ein Umweltaspekt, als einer für Geldbeutel/Nerv? Und zusätzlich sehr schwer messbar zu machen.

Entsorgung ist wohl für alle Öle gleich

 
Diese Punkte müssen wir dann nach Ökobilanz bewerten. Eine Ökobilanz, auch Umweltbilanz oder Lebenszyklusanalyse (LCA = life cycle analysis) ist lt. Wikipedia als eine „systematische Analyse von Umwelteinwirkungen während des gesamten Lebenszyklus“ beschrieben. Auf das Öl angewandt, betrachtet eine Ökobilanz also alles vom Bohren nach Öl über die Raffinerie, 12.000 km Motorradfahren (= Wechselintervall des Referenzmotorrads Ducati Hypermotard 796, Bj. 2010) bis hin zum Ende des Altöls (Verbrennen oder Recyclieren zu neuem Basisöl).


Umweltfaktoren: Müll, Lärm, Abgas, ...


Das besonders coole, aber auch Komplizierte an einer Ökobilanz ist, dass sie als Umweltschadenkategorien nicht nur den heute meist genannten CO2-Fussabdruck (also die gesammelten CO2-Emissionen zur Beurteilung des Treibhauspotentials) beinhaltet. Sondern noch bis zu 17 weitere Schadenskategorien zum Beispiel beim „Eco-Indicator 99“, wie z.B. Landverbrauch, Gewässer-Eutrophierung, Humantoxizität, Ressourcenverbrauch.
Berechnen tun dies Spezialisten mithilfe von Datenbanken, in denen Daten für die Mineralöl-Industrie ganz sicher bereits hinterlegt sind, sowohl für die Herstellprozesse, als auch für die Chemikalien. Um dem Ergebnis vorzugreifen: meist ist bei solchen Ökobilanzen das Verbrauchen von Rohstoffen am aller schwerwiegendsten, weit vor zum Beispiel Transport über die Weltmeere. Übersetzt auf Motoröl bedeutet das, dass vermutlich dasjenige am ökologischsten aus der Untersuchung herauskommt, das am wenigsten oft gewechselt und damit verbraucht wird. Selbst wenn seine Herstellprozesse oder Additive ungünstig sein sollten: mit Sicherheit sind hydrocracking und vor allem die vollsynthetische Herstellung nämlich aufwändiger und benötigen mehr Energie und erzeugen mehr Schadstoffe als bei mineralischem Motoröl. Aber dieser Nachteil würde für 5.000 km längeres Fahren vermutlich mindestens aufgewogen.

 
Der Pferdefuß liegt aber darin, dass die Wechselintervalle ja vorgeschrieben sind und man selber kaum Anhaltspunkte hat, inwiefern man sie verlängern könnte, bei gleicher Ölleistung. Andersherum: erlaubt ein synthetisch(er)es Motoröl längere Wechselintervalle und der Fahrer nutzt das auch, dann wäre dieses synthetisch(er)e Motoröl mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die ökologischere Wahl, zumal es im besten Fall aufgrund der niedrigen Viskosität bei geringen Temperaturen (Kurzstrecke, Kaltstart) auch den Spritverbrauch etwas senkt.

 
Neben verlängerten Wechselintervallen würden deutliche Unterschiede in der Nutzungsphase für die Ökobilanz unheimlich viel zählen, also z.B. Ducati Hypermotard 796 braucht 12.000 km lang jeweils 0,5 L Sprit weniger. Das wäre wirklich der ökologische Hammer! Wenn es diese Unterschiede denn wirklich gäbe.

 
Was ich persönlich machen würde? Ich selber kaufe für moderne Motoren ab so ungefähr 1980 ohne Turbolader teilsynthetisches oder HC-Öl von mittlerer Qualität und verlängere „nach pi-mal-Daumen-Bauchgefühl“ die Wechselintervalle (Laufleistung / Laufzeit) um ungefähr Faktor 1,5. Das habe ich von einem Freund aus Aachen gelernt, der hat auch die Wechselintervalle für seine XJ 750 Seca frei interpretiert…

 
Gastbeitrag von Dr. Jochen Wirsching

Motorrad: AWO 425T 1952-1954-Mix