Aprilia Tuareg 660 im Vergleich zur T7

Aprilia Tuareg 660 Modell Year 2022
Aprilia Tuareg 660 Modell Year 2022

Als Yamaha 2019 die lang erwartete und emotional gut promotetet Enduro Ténéré 700 vorstellte, war die Szene begeistert. Endlich eine Zweizylinder-Enduro im mittleren Hubraumsegment mit wenig elektronischen Helfern, das alles für unter 10.000 Euro.

Schnell fand sie gerade wegen des technischen Understatements viele Freunde in der Szene und entwickelte sich zum Bestseller. 2019 ist auch die Zeit, in der Aprilia auf der EICMA eine erste Studie vorstellt. Von der Tuono 660 ist bereits die Rede, doch eine echte Tuareg soll folgen. Auf dieser ‚vor-Corona-EICMA‘ steht in Milano eine fast unkenntliche Tuareg in einen überrankten Glas-Terrarium. Sie soll Neugierig machen, wie und wann Aprilia an die Paris-Dakar Geschichte der Einzylinder Tuareg 600 Wind aus den `80er Jahren anknüpfen kann.

Auf der (Tunis) Paris-Dakar Rallye 1989 fuhren neben dem legendären Honda Africa Twin Team auch die Piloten Vinod B und Scott Freeman auf der neuen Tuareg 600 Wind mit: Dem Rotax Motor reichte damals Luft- & Ölkühlung und 46 PS. Er kam auch mit schlechtem afrikanischem Sprit klar. Aprilia nutze die Public Relations der Paris-Dakar Silhouetten Klasse und brachte währenddessen eine Reihe alltagstauglicher Enduros heraus. 1985 begann man mit 350 Kubik, 1988 erschien schon die erste 600er.

Design? Miguel Galluzzi

Doch wer ist der konzeptionelle Vater der heutigen Tuaregs? Es ist kein geringerer als Miguel Galluzzi (2022:63), der Top-Ten-Designer der Ducati Monster, Dorsoduro der Tuono sowie der Moto Guzzi V7 und California 1400. Beteiligt waren auch das PADC (Piaggio Advanced Design Center), Piaggio‘s Außenposten in Pasadena, Kalifornien. Produktmanager Diego Arioli beschreibt, wie der Zweizylindermotor aus den V4 Motoren der RSV4 Factory abgeleitet wurde und jeweils speziell auf die kompakten Belange (RS660 und Tuareg 660) angepasst wurden. Die Tuareg bekam auf Kosten der Spitzenleistung mehr Drehmoment, ein über Hebel angelenktes und gut abgestimmtes Federbein und viele Rallye-Features wie ein langhubiges Kayaba Fahrwerk.

Konzeptionell sind starke Parallelen zwischen der Aprilia Tuareg und der T7 zu erkennen. Letztere wurde unter Zugabe des bekannten japanischen MT-07 (CP-2 Motors mit Crossplane Kurbelwelle) von einem Französisch-italienischen Entwickler Team für den europäischen Markt gestylt. Ihre Produktion findet im südfranzösischen Nîmes statt, Aprilia baut in Noale und Scorzè, unweit von Venedig.

Entwicklung der Tuareg:

Designt wurde die Tuareg 660 nach Vorbildern von Rally Raid Veranstaltungen, speziell für das westliche, europäisches Publikum, das Gelände- als auch Straßenkomfort und Sicherheit zu schätzen weiß. Anders als die T7 setzt Aprilia auf elektronische Unterstützungs-Systeme, dem aktuellen Stand der Technik, bei dem Aprilia Factory bei den Straßen-Sportlern ganz vorne mit dabei ist.

Zum Beispiel wohnen dem Tuareg Steuergerät MIA viele Features inne, auf die Yamaha zunächst bewusst und aus preisgründen verzichtet hat. Aktuell zeigt Yamaha mit der World Raid T7, dass Yamaha bereit ist, elektronisch upzudaten: Die World Raid hat ein verbessertes Fahrwerk, ein neues Dashboard, mehr Tankvolumen und Federweg. Damit schließt sie technisch ein Stück zur Aprilia Tuareg auf.

Elektronische Assistenz, Fahrmodi (konfigurierbar), Tempomat, Ride-by-Wire, Schleppmomentregelung, ABS-Konfigurationen (offroad) und eine Traktionskontrolle sowie diverse Verknüpfungsmöglichkeiten mit kabellosen Geräten bietet zunächst nur die aktuelle Tuareg.

Maßanfertigung

Für Fahrer um 180 cm passt alles. Tuareg und T7 stehen auf dem Hänger und man sieht, dass viele Maße annähern identisch sind. Vielleicht ist der Lenker der T7 eine Nuance höher, selbst die Federungselemente (und die Bodenfreiheit) sind nahezu gleich. Die Ergonomie passt auf Anhieb, doch die Formen sind unterschiedlich. Die Aprilia kommt eckiger daher, hat einen ordentlichen Knick im Tank (mit unrühmlich hervorstehendem Tankdeckel), die T7 ist runder, was auch durch das 4-fach Scheinwerfer-Layout unterstrichen wird. Auch bei Yamaha steht der Tankdeckel unschön hervor. Selbst die Federungselemente von Kayaba könnten derselben Fertigungsstraße entstammen. Aprilia bietet nur mehr Federwegs-Reserven. Auch Brembo Zangen sind bei beiden Motorrädern mit dabei. So sind es die inneren Werte, die die beiden unterscheiden: Der Aprilia Antrieb läuft subjektiv geringfügig rauer, was mit den schmeichelhaften Ansauggeräuschen zu tun haben könnte. Der Co-Tester (und T7 Fahrer) attestiert der Aprilia spontan eine geringfügig längere Übersetzung und eine härtere Schaltung, die Aprilia erreicht mit ihren 80 PS schließlich auch locker 190 km/h Vmax.

Fahrleistungen

Je nach Fahrmodus, ist die Tuareg die agilere, das Motorrad, das besser an die Erfordernisse anzupassen ist. Fahrmodi sind auch mit ABS- und Traktionsmodi verknüpft, der Modus ‚Individual‘ frei konfigurierbar. ‚Explore‘ bietet einen guten Kompromiss. Regnet es oder will man den Schlupf des Hinterrades sanfter antreten lassen, ist Urban eine gute Wahl. Geht es stumpf geradeaus, übernimmt der Tempomat. All das geht bei der T7 nicht, sie setzt dafür auf eine ausgewogene Gesamtabstimmung. Man darf gespannt sein, ob weitere World Raid Versionen hier standhaft bleiben.
Trotz weniger Hubraum hat die Aprilia mehr Reserven, gerade nach oben heraus. Thermisch steht sie auch besser da, zumindest geht der Motorlüfter wesentlich seltener als bei der T7.

Thermische Reserven der Aprilia

Kupplungen werden per Seilzug betätigt, Antihopping gibt es bei beiden nicht. Wegen der Motorelektronik hat die Tuareg eine Motorbremsmoment-Regelung, die aber bei dem Hubraum/Zylinder Kombination wenig Auswirkungen auf den Fahrbetrieb zeigt.

Bei der Kurvenhatz wird es kaum wundern: die beiden geben sich nichts, aufgrund der besseren elektronischen Einstellbarkeit hat die Aprilia bei Highspeed und widrigen Verhältnissen die Nase geringfügig vorn, viel hängt wie immer vom Fahrer ab.

Auf der Straße und bei Kurvenfahrt legen beide Motorräder einen ausgewogen sauberen Strich hin. Pendeln und Fahrwerksschwächen kommen praktisch nicht vor. Anders könnte das aussehen, wenn man an die Grenzen der Beladung geht mit viel Gepäck auf Piste und mit zwei Personen unterwegs ist. Aufgrund der Zubehör-Situation gibt es hier bei der Yamaha bessere Optimierungsmöglichkeiten.

Der Tempomat auf der Autobahn und ein guter Windschutz sprechen für die Aprilia. Auf der Yamaha sitzt man allerdings auch wie in Adams Schoß.

Aprilia Konfigurations-Möglichkeiten
Einzeln im Mapping individual einstellbar: Das a-PRC System mit 5 Funktionen:
AEM: Motormapping
AEB: Motorbremse
ABS: Antiblockiersystem
ATC: Traktionskontrolle
AQS: Aprilia Quick Shift (falls vorhanden)

Gepäck

Die Aprilia ist mit 204 kg 3 Kilo leichter als die T7, je nach Mapping läuft die Tuareg ab 2.000/min, unter Last besser ab knappen 3.000/min rund und geht mit dem Vorschub eines modernen Einspritzers ans Werk. Das maximale Drehmoment liegt wie bei der Yamaha bei 6500/min an, lebendig wird der Twin mit Hubzapfenversatz ab 5.000/min – untermalt mit einem Stakkato aus der Airbox bis etwa 10.000/min. Die T7 blubbert etwas konformer, Trecker-artiger noch gutmütiger. Beide Sounds wirken nie störend auf Umwelt und Gehör. Der Schall entweicht beiden Motorrädern über rechtseitig angebrachten schrägen Edelstahl-Auspuffe: 2 in 1. Der Schalldämpfer der Aprilia ist voluminöser und leider auch etwas höher angebracht, was die Kofferbefestigung erschwert. Auf den Messen konnte man an der Aprilia die eng sitzenden Alukoffer vom OEM-Lieferanten Givi sehen, auf die auch Yamaha werksseitig setzt. Der jeweils reche Koffer ist dann für den Auspuff entsprechend ausgeklinkt und damit kleiner. Für unseren Fahrbericht nutzten wir Enduristan Blizzard (L), die mit (hölzernen) improvisierten Abstandshaltern und Enduristan ‚Inferno Heat-Blechen‘ vor zu großer Hitze geschützt werden mussten. Das Gepäckträger Zubehör-Angebot ist für die Tuareg noch entsprechend kleiner, bis Mitte 2022 wurden erst 400 Aprilia Tuareg in Deutschland zugelassen, der Bestand an T7 ist wesentlich größer. Ab Werk von SW-Motoech gibt es derzeit nur einen passenden Tankrucksack (mit Tankdeckel-Adapter), der von Enduristan passt auch leidlich. Unbedingt ordern sollte man eine Gepäckbrücke (original: 445 €). Am Rahmenheck sitzen unter Abdeckungen Gewindebohrungen (M6) an die man sonst notdürftig Behelfsschrauben zur Gepäckbefestigung (Gepäckpilze) eindrehen kann. Die T7 hat serienmäßig solche Einhängepunkte für Gurte und Haken. Seitendeckel im klassischen Sinne sind an der Tuareg gar nicht erst vorhanden. Vorbildlich sind die Aluminium-Seitenständer, oder die angeschraubten Soziusfußrasten an beiden Motorrädern.

Selten: Der Yamaha-Rahmen hat noch einen geschraubten Unterzug besitzt, baut Aprilia auf eine Gitterrohr-Konstruktion mit dem Motor als tragendes Element. Aprilia erlaubt auch bei der Beleuchtung eine Auswahl zwischen TFL und Abblendlicht. Ein großes Plus am Fahrwerk sind die Kreuzspeichen-Felgen, die zum einen sehr stabil sind und zum anderen Schlauchlosreifen erlauben.

Während an der Yamaha bei der Sitz-Ergonomie ein Motor-Kupplungs-Deckel an der rechten Wade drückt, ist das gleiche Szenario ist bei Aprilia besser gelöst. Technisch gut fügt sich auch der elektromechanische Quickshifter/Blipper geben Aufpreis in das agilere Fahrverhalten ein. Alle Schaltvorgänge gehen dabei auch unter Last schneller vonstatten. Die Schaltvorgänge am CP-2 Motor der Yamaha laufen dagegen eine Nuance weicher ab.

Gegen Aufpreis gibt es das Steuergerät Aprilia Mia: das erlaubt eine einfache GPS-Navigation mit Piktogrammen und Höchstgeschwindigkeits-Anzeige, Gegensprechanlage, Audioübertragung mit Smartphone, alles über die im Cockpit angezeigte Aprilia Multimedia Plattform (AMP).

Die Bedienung der Features erfolgt über eine 4-fach-Lenkerschalter. Der Tempomatschalter erlaubt auch Schnelleingriffe in die Traktionsregelung. Der Mode-Schalter auf der rechten Lenkerseite bedient ausschließlich die Riding-Modes.

Zu den Besonderheiten der Elektronik gehört die für den Biker mögliche Kalibribrationsfahrt mit dem Motorrad. Z.B., wenn ein anderes Reifenfabrikat aufgezogen, oder die Übersetzung geändert wurde. Die Sensoren des sog. a-PRC-Systems (Aprilia Performance Ride Control) können so auf neue Gegebenheiten eingestellt bzw. kalibriert werden. Dazu fährt man nach Aktivierung ca. 10 Sekunden lang auf einem ebenen geraden Straßenabschnitt im zweiten Gang bei einer Geschwindigkeit von 40 +/- 2 km/h. Analog erscheint im Display die Meldung "Calibration - Hold speed" angezeigt (Manual Seite 63).


Zubehör: Die Preise für Piaggio Original-Zubehör liegen über denen von Yamaha. Givi ist oft OEM.

Fazit: Zumindest im direkten Vergleich ist die Tuareg den preislichen Aufschlag wert: Sie bietet neben fortschrittlichen Motormanagement auch echte Hardware als Plus: Kreuzspeichenfelgen, ein Dashboard das den Namen auch verdient, Tempomat, LED- Ausstattung, größerer Tank und längere Federwege bei geringerem Gewicht rechtfertigen den Aufpreis. Nicht ganz günstig ist hingegen Aprilia Original-Zubehör. In Deutschland ist das Misstrauen gegenüber Aprilia’s Ersatzteilversorgung immer noch größer als etwa gegenüber der Ersatzteilversorgung von Yamaha, die bekanntlich meist anstandslos funktioniert. Trotzdem wird man in Zukunft mehr mit Lieferkettenproblemen zu tun bekommen.

Auch die Fahrleistungen liegen über der der Yamaha. Die Aprilia wirkt etwas sportlicher, die Yamaha etwas gutmütiger. In der Geländewertung kommt es darauf an, wie gut die Fahrer sind und ob man das Gepäck zu Hause gelassen hat. Mit der World Raid 700 schließt die T7 wieder etwas auf, auch preislich. Sie ist dann sogar teurer als die Aprilia. Das Kopf-an-Kopf Rennen bleibt spannend!

(Testdistanz: 1000 km)

Bewertungen

  • Mäßige Soziustauglichkeit, bis auf Kniewinkel, schlechte Haltemöglichkeiten, keine Gepäckpilze am Heck
  • Kreuzspeichenräder mit Schlauchmöglichkeit (bei Platten)
  • Akzeptabler Verbrauch (fast gleich dem der T7)
  • Gute Langstreckenperformance und Reichweite
  • Top Enduro-Mapping
  • Thermisch belastbarer, sportlicher Motor (Kühler ging seltener an als an T7)
  • Fahrmodi, Tempomat, Traktionskontrolle
  • Gut abstimmbarer und anpassbarer Motor
  • Kein semiaktives Fahrwerk
  • Ungünstiges Tank-Design (Tankdeckel), fehlende Gepäckpilze am Heck
  • TF bemängelt mäßige Lichtausbeute (nicht getestet)

Technische Daten (Auswahl)

Gewicht / Tank: trocken: 187 kg / 204kg voll, 18 Liter Tank

Stahl-Gitterrohrrahmen mit Aluminium-Profilen, vorne voll einstellbare Kayaba-USD-Gabel, D 43 mm, Federweg 240 mm; hinten Aluminium-Zweiarmschwinge mit voll einstellbarem Kayaba-Zentralfederbein, Federweg 240 mm; vorne Doppelscheibenbremse D 300 mm mit Vierkolbenbremszangen; hinten Einzelscheibe D 260 mm mit Einkolben-Bremszange; Schlauchlose Aluminium-Kreuzspeichenräder; Reifen vorne 90/90 R 21, Reifen hinten 150/70 R 18

Licht: Serienmäßig LED-komplett-Ausstattung

Motor: Flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, vier Ventile pro Zylinder, DOHC, Hubraum 659 ccm, Leistung 58,8 kW/80 PS bei 9250 U/min, max. Drehmoment 70 Nm bei 6500/min, 6 Gänge, Regina Kette

Tuareg first view auf der Messe

Brixton 500 XC

Die Brixton 500 XC hat ein viel besseres
Fahrwerk als die Crossfire
KYB Federungselemente, 19 Zoll Vorderrad
und Kreuzspeichenräder erhöhen die Geländetauglichkeit.

Motor und Verbrauch blieben gleich.
Die Brixton XC bekam eine andere J. Juan
Scheibenbremse am Vorderrad, der Lenker
wurde etwas breiter, wie es sich für eine
Scrambler gehört.

Kommentare zum Test

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