Kulinarisches aus dem Piemont
Piemont: Wahre Ess- und Kurvenorgien
In Piemont, Italiens größter Provinz zu Füßen der Berge, sind die Menschen sehr qualitätsbewusst. Das gilt in jedem Fall für jegliche Art von Essen und Trinken. Es scheint, als gäbe es im Wein- und Feinschmeckerland nirgends mehr GenießerInnen, verständige EsserInnen, ambitionierte LebensmittelproduzentInnnen und WinzerInnen, als hier. Belegbar scheint diese These dadurch, dass die Piemontesische Familie 10-mal soviel (!) für Lebensmittel ausgibt, wie die italienische Durchschnittsfamilie. Weil die Menschen hier im Ruf stehen, zuverlässig, nüchtern, strebsam und obendrein noch pünktlich zu sein, gilt Piemont als das Preußen Italiens. Feinschmeckerei scheint geradezu ein Charakterzug der PiemontesInnen zu sein! „Wer weniger als vier Vorspeisen isst, wird fast schon als unanständig angesehen... Dicke Menschen gelten nicht als krank, sondern werden als lebensfroh verehrt“, so meinen zumindest die AutorInnen, die in der Kategorie kulinarische Landschaften echte Meister ihres Faches sind. Bei der Lektüre des großformatigen Buches kommt man zwangsläufig auf den Geschmack und irgendwie entsteht auch eine Reiseroute im Kopf. Immer dem Speisezettel nach!In Text und Bild werden Winzer, Köche und Restaurants porträtiert, die Haupteinteilung des Buches erfolgt aber nach Jahreszeiten. So entsteht ein Bilderbogen durch alle Landschaften und Regionen Piemonts, von der Rebstock durchzogenen Langhe bis hin zu den höchsten Gipfeln Europas im Westen. Einen Sonderstatus hat dabei das gewaltige Aosta-Tal – es ist eine eigene autonome Provinz. Italienisch, aber ganz französisch: Man spricht den Savoyer Dialekt. Wichtigste Pässe zwischen Italien und Westeuropa türmen sich an seinen Seiten auf, Befestigungsanlagen deuten auf eine der stark umkämpften Regionen Europas hin. Heute ist das umgekehrt – Montblanc-Tunnel und Autobahn sorgen für raschen und reibungslosen Verkehr – auch wenn er nicht gerade wenig ist.
Was nun auf dem Speisezettel steht: Weinträchtiges aus den Hügeln der Langhe, denn Barolo, Barbaresco und Barbera kommen hier her; Reisgerichte (aus eigenem Anbau) aus der reichen Poebene, Pilzgerichte aus den Wäldern des Apennin, aber auch weiße Trüffeln, Eiernudeln, Konfekt und Kirschen haben die Region berühmt gemacht. Der Wein während des Essens: Jeder Schluck wird mit Bedacht genommen, geprüft, kurz beurteilt. Nichts geschieht nebenbei, die Sinne sind geschärft: In Piemont wird wach genossen! Eine Region, die sehr ursprünglich geblieben ist und die viele Errungenschaften der Neuzeit im rasenden Tempo erlebt hat: Erst seit den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Dörfer mit befestigten Straßen verbunden und mit fließendem Wasser versorgt. Oder den Aufstieg und zumindest temporären Fall des Automobilgiganten FIAT.
Beim Essen verstehen PiemontesInnen wenig Spaß, lassen sich auch keine unsinnigen Vorschriften machen. Zum Beispiel über die Bestrebungen, den Bauern/Bäuerinnen zu verbieten, ihren Käse auf traditionelle Art aus Rohmilch herzustellen, weil hier bakterielle Gefahren lauern könnten. »Es weiß doch jeder, dass Industriekäse tot ist, ein frischer Bauernkäse hingegen die reinste Medizin!« Man schimpft über den »Dreck«, den die Lebensmittelindustrie in die Supermärkte pumpt und singt das Hohelied der kleinen Produzenten: »Für alle, die etwas Gutes suchen, gibt es immer Leute, die Gutes produzieren – auch gegen das Gesetz!« So kommen die interviewten KochmeisterInnen auch zu dem Schluss: »Wirklicher Genuss entsteht nur aus ständiger kritischer Auseinandersetzung mit dem Produkt und der Zubereitung« und »Man kann nicht sonntags genießen und werktags schlampig gekochten Schrott essen.«
M.G.
Kommentare
Kommentar von Ugur Celtikli |
Die Pension Ceaglio ist sehr empfehlenswert.