Menschenhändler: Die Schattenwirtschaft des Islamischen Staats

Was Flüchtlingskriese, Schmuggel, Kidnapping und Piraterie z. B. in Somalia miteinander zu tun haben? Das erklärt das Buch der römischen Terrorismusexpertin Loretta Napoleoni. Sie traf sich mit KriegsreporterInnen, ehemaligen Geiseln, Unterhändlern, ‚Fixern‘ und NGO- Verantwortlichen, deren Mitarbeiter entführt wurden. Obwohl Loretta Napoleoni mit Regierungen zusammenarbeitet, wirft ihr Buch kein gutes Licht auf deren Praxis mit Lösegeld-Erpressungen, deren Erlös in die Kassen von IS, Al Quaida und anderen Extremisten des islamischen Maghreb‘s fließt.
 

Aus diesen Protokollen wird das hochprofessionelle Netzwerk von Menschenhändlern deutlich, das sich von Westafrika über Libyen und von Syrien bis nach Europa erstreckt und aus dem heute Terrororganisationen wie al-Quaida und der sogenannte Islamische Staat buchstäblich Kapital schlagen – die Mitauslöser der Flüchtlingskrise sind gleichzeitig deren größte Profiteure.

Eine ihrer Thesen lautet: Im Zentrum des Machtvakuums, das die Interventionen des Westens nach 9/11 im Nahen Osten und in Libyen hinterlassen haben, ist ein einträgliches neues Geschäftsmodell entstanden. Es sind die Regierungen von Italien, Deutschland und anderen Europäischen Staaten, die attraktive Lösegelder in Millionenhöhe aus Steuergeldern bezahlen, während die USA Gefangenenaustausch mit den Jihadisten vornimmt. Menschenleben werden mit einem Preisschild versehen, eine Tatsache, über die man genau wie die Zahlungen überhaupt in Regierungspreisen nicht spricht. Viele der aus eigner Leichtsinnigkeit entführten werden dann meist nach mehrmonatiger Geiselhaft als heroisch befreite politisch ausgeschlachtet. Während andere Nicht-Regierungs-Organisationen lediglich einen Preis zahlen, der dem Aufwand der Entführung entspricht versuchen die extremistischen Entführer recht schnell mit den bekannten Regierungsstellen in Kontakt zu treten und für ihre Terrorzwecke möglichst viel herauszuschlagen. Diese Entführungen sind keine Einzelfälle, ihr Aufkommen ist seit 2003 sprunghaft gestiegen und die islamistischen Terrororganisationen finanzieren sich durch einen nicht unbeträchtlichen Anteil dadurch. Unvorsichtige und unerfahrene werden quasi auf Bestellung entführt, auch von Organisationen, die der Westen unterstützt. Napoleoni nennt hier auch die Freie Syrische Armee, die Geiseln auch einfach an andere Terrororganisationen weiterverkauft.

NGOs: Un ponte per …

Genauso wie Entführungen an sich kritisiert werden, setzt das Buch ein Plädoyer gegen Leichtsinnigkeit und Unerfahrenheit. Die pensionierte Entwicklungshelferin Karin Weber wird hier angeführt, weil sie zwei Mitarbeiterinnen kündigen wollte, weil sie sich in gefährlichen Gebieten nur mit mangelnden Sicherheitsvorkehrungen bewegten. Zwei Monate, nachdem Weber pensioniert wurde, passierte das dann auch. Bei der Befreiung durch Lösegeldzahlung seitens der italienischen Regierung wurden die beiden Entführten Frauen dann als „Heldinnen der Koalitionsmächte gefeiert, die die Iraker von einer ruchlosen Diktatur befreien wollten: zwei Friedenstauben, die von bösen Jihadisten verschleppt worden waren ...“ Die Italienische Regierung lancierte diese Befreiung für einen Beweis, dass die Invasion im Irak tatsächlich notwendig gewesen war.

Ebenso werden massenhaft junge, freie Journalisten gekidnappt, weil sie große Risiken eingehen um sich ‚schnell einen Namen‘ zu machen. Diese Lücke hat sich weiter aufgetan, seitdem viele Presseportale keine niedergelassenen Korrespondenten und hauseigene Journalisten mehr beschäftigen: aus Kosten- und Sicherheitsgründen.

Auch ist uns in Europa vielleicht nicht klar, welches Ansehen Somalische Piraten vor Ort genießen, wo das arabische Wort für sie so viel wie ‚Küstenwache‘ bedeutet. Sie werden in der Somalischen Diaspora gar zu Investitionsobjekten, bei der über Geldwäsche-Aktivitäten auch internationale Geschäftsleute als Investoren (die auch einen ‚Gewinn‘ abschöpfen) auftreten. Die Piraten sind ‚nur‘ Akteure, die ihre Arbeit machen, zumindest aber starke Unterstützung in der Lokalbevölkerung finden. Als Trickle-Down-Ökonomie der Parallelwirtschaft, bezeichnet Loretta Napoleoni diesen Effekt, der in Länder auftritt, deren Ökonomie zusammengebrochen ist und von deren krimineller Schattenwirtschaft sich die Bevölkerung verspricht, zu profitieren. Das tat sie auch, indem sich Einheimische anboten, um für Bestatzung und Gefangene zu kochen, etc. Loretta Napoleoni nennt auch ungeschickte Medienkampagnen, wie z. B. in Dänemark, als der Frachter Leopard entführt wurde. Kapitän der „Leopard“, Eddy Lopéz und Steuermann Søren Lyngbjørn beklagte nach der 839 Tagen dauernden Geiselhaft u. a. das im Zuge der Medienkampagne die Piraten in Form von höheren Lösegeldern (6,8 Mio), deren somalische Sponsoren, aber auch die dänischen Medien selbst von ihrer Kampagne profitierten.

Im Sommer 2015 erzielte der Islamische Staat, so schreibt Napoleoni, mit der Steuer auf die menschliche Fracht, die in die Türkei gelange (Flüchtlinge, die von Schleppern geführt werden), rund eine halbe Million Dollar pro Tag – mehr als mit der Steuer auf geschmuggeltes Öl. Dabei spricht sie von zahlreichen Grenzübergängen zur Türkei, die vom IS kontrolliert werden. Auch dieses Kapitel zur Flucht ist sehr lesenswert.

Napoleonis Schlusswort: „So stecken die Migranten in der Türkei fest, eingesperrt in Flüchtlingslagern, während die nächste Generation von Kidnappern, Jihadisten und Kriminellen heranwächst. Das Kalifat wird unter ihnen viele Krieger finden.“

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