Grünes Band: Priwall Wackenitz Elbe

Mit der Brixton 500 in der Wackenitz Niederung
Mit der Brixton 500 in der Wackenitz Niederung

 

Die Brixton Crossfire 500 trägt mich über halbwegs leere Landstraßen in die Lüneburger Heide. Im Corona Sommer 2020 ist touristisch viel los in deutschen Landen, man kann dem aber auf dem Motorrad ganz gut entfliehen.
Das Zelt soll heute bei Römnitz, auf einem Campingplatz am Ratzeburger See stehen. Man zeltet direkt gegenüber der Domhalbinsel an der ehemaligen DDR-Grenze: mit Blick auf den Dom. Wir pöttern die sandige Kopfsteinpflasterstraße hinunter, wie so oft an den Gestaden der Ostsee.

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Dom zu Ratzeburg
Ausblick vom Campingplatz Römnitz

Im glasklaren See, (19°C im September) gibt’s noch eine Erfrischung, dann starten wir zum Priwall. Der Campingplatzmann erzählt noch von den Grenzverschiebungen und Gebietsabtretungen nach dem II. Weltkrieg, Teile der Ratzeburger Altstadt und auch der Campingplatz gehörten damals noch zu Mecklenburg-Vorpommern, heute campen wir in Schleswig-Holstein.

Die norddeutschen Kinder der 1960er und 1970er Jahrgänge kennen das Ferienlager Priwall oder Ottendorf. Der Priwall ist gegenüber Travemünde gelegen, direkt hier verlief die Grenze und das hatte selbst auf die Kleinen seinen speziellen Reiz. Der Priwall konnte vom Westen bis 1990 nur per Fähre erreicht werden.

Ein Grenzstein macht auf die Grenze aufmerksam, von hier aus sind es noch 17 Kilometer bis zum Ostseebad Boltenhagen, ein erstes Beispiel dafür, dass dort wo die Grenze verlief, Naturräume und unverbaute Flächen (beinahe unfreiwillig, könnte man behaupten) erhalten geblieben sind.

Auf dem Priwall ist das nicht unbedingt der Fall; 2017 wurde hier rund um das Segelschiffmuseum Passat die ‚Novasol Waterfront‘ gebaut, ein modernes Ferienensemble mit Villen und Promenade. Und hohen Preisen.

Auf dem Weg nach Boltenhagen trifft man auf zerfallene LPG-Gebäude und nobel restaurierten Häuser und Ferien-Domizile gleichermaßen, nur Hochhäuser wie in Travemünde sind dem Osten bisher erspart geblieben. Die Küste ist sehr naturbelassen, wechselt zwischen Steilküste und Sand- und Steinstränden bis zur Halbinsel Tarnewitz, die auf eine sehr bewegte Geschichte zurückblickt.


Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde der Boltenhagener Ortsteil Tarnewitz als Standort für die Errichtung einer Erprobungsstelle der Luftwaffe (E-Stelle) ausgewählt. Im Spätsommer 1935 begannen die Bauarbeiten. 5,5 Millionen Kubikmeter Ostseesand wurden aufgeschüttet, um eine künstliche Halbinsel mit Flugplatz zu errichten. Ein Deich aus Betonplatten schützte das Areal vor Sturm und Hochwasser. 1937 ging die E-Stelle unter höchster Geheimhaltung in Betrieb. Ingenieure und Militärs erprobten und entwickelten hier Flugzeugbewaffnung bis zur Einsatzreife. Bei den gefährlichen Tests verloren etliche Angestellte der E-Stelle ihr Leben. Für den Bau einer Startbahnverlängerung in Tarnewitz setzten die NS-Machthaber auch Zwangsarbeiter (u.a. aus Frankreich, Italien und der damaligen Sowjetunion) ein. Nach Kriegsende besetzten die Alliierten das Areal, ab 1952/53 übernahmen die DDR-Seestreitkräfte das Gelände. Eine neue Bedeutung bekam das Areal 1963: Tarnewitz wurde ein Standort der 6. Grenzbrigade Küste, die see- und landseitig an der DDR-Ostseeküste die Grenze sicherte. Im Hafen lagen bis zu sechs Grenzkutter, die 1979 durch Grenzboote vom Typ GB-23 (je sechs Mann Besatzung) abgelöst wurden. Lokale Fischer mussten sich bei einem Kontrollpunkt an- und abmelden, bevor sie in See stachen. Der Stab des 4. Grenzbataillons saß ebenfalls in Tarnewitz. Insgesamt gehörten etwa 200 Personen (Militärs und Zivilangestellte) in Boltenhagen zur Grenzbrigade Küste. Seit dem Fall der Mauer 1989 hat die einstige Militär-Halbinsel ihren geheimen Status verloren. Heute wird sie auf einem Drittel der insgesamt 400.000 Quadratmeter von Urlaubern genutzt, der Rest ist Naturschutzgebiet. (Text einer Infotafel an der Marina Tarnewitz)

Ich glaube, der moderne Tourismus hinterließ fast ähnlich viel Beton, wie die Nazis und so wird hier auch im Coronajahr 2020 fleißig weitergebaut an Ferienanlagen und Hotels.

Ich folge weiter dem heutigen grünen Band, der Demarkationslinie auf dem nun Naturschutz angesagt ist. Dort zumindest, wo sich die Agrarlobby nicht durchgesetzt hat.

Die Challenge ist dabei, so nah wie möglich an der ehemaligen Grenze zu bleiben oder sie zumindest so oft wie möglich zu queren. Durch den Mechower See verlief die DDR-Grenze mittig. Tafeln mit historischen Fotos und lesenswerten Texten machen auf die Grenzöffnung 1989/90 aufmerksam.


Schwalbennest in Boitzenburg

Das Lübecker Umland ist bekannt wegen der wunderschönen ‚Knicke‘, der naturbelassenen Hecken, die Wind abhalten und Vögeln Nistgelegenheiten bescheren. An der Wakenitzniederung, einem Nebenfluss der Trave, gibt es Heckenlandschaften wie in Devon oder Wales.

Auf der Höhe von Mölln liegt das UNESCO Biosphärenreservat Schaal See. Die Strecke dorthin ist gepflastert von Mahnmalen, Infotafeln, Grenzsteinen und Erinnerungskultur. Vom malerischen Fährhaus Rothenhusen mit dem angrenzenden Kanuclub halte ich mich immer hart an der Grenze: Dutzower See, Schaalsee - eine Idylle von Indian Summer, im September 2020.

 

Blau: DDR Grenze, Grün: Grünes Band, Rot: Hauptroute, Dunkelrot: Wendland/Elbe-Tour

 

Spiegelglattes Wasser an der Wackenitz

 

Am Ostufer des Schaal Sees gibt es viele Kleinode. Ich wähle eine Stichstraße zu dem glasklaren Dutzower See. Pling! macht es auf dem Kopfsteinpflaster, ein Metallgegenstand fliegt davon. Eine abgebrochene Flugschar liegt neben mir. Nebenan, in der kleinen Mosterei von Jochen Schwarz, ist Betrieb und wir kommen ins Gespräch als ich ihm das Metallteil zeige: Die wunderschöne Landschaft des Schalsees zieht vornehmlich im Sommer Menschen an, sein Hofladen schließt daher auch im Dezember. Nebenan Rögnitz, der Drehort des Boje / Buck Filmes "Hände weg von Mississippi" - bestimmt ein Sommeridyll hier.

Das Südufer des UNESCO Biosphärenreservat Schaalsee ist touristisch gut besucht, was mich zu einer kleinen Abkürzung über Lauenburg und Boizenburg animiert. Beide sind ansehnliche Hafenstädte mit schnuckliger Altstadt und ehemals großen Werftanlagen. Die machen den Auftakt des Grüne Band an der Elbe. Die DDR-Grenze verlief umstrittenerweise in der Elbmitte oder an den westlichen Bunenköpfen, was oft zu Streitigkeiten im Binnenschiffsverkehr führte.

 

Das Amt Neuhaus, das bis zum Ende des II. Weltkrieges zum Landkreis Lüneburg gehörte, lag nach1945 kurzzeitig in der britischen Besatzungszone und dann in der SBZ (oder auch DDR). Erst nach einer Volksabstimmung 1993 entschieden die Bürger, wieder zum Land Niedersachsen zu gehören. Damit bildet Niedersachsen seine einzige Exklave östlich der Elbe, umrandet von Sachsen-Anhalt.

Eine kleine Panne will ich nicht außer Acht lassen. Beim Tanktreff Vellahn bekommt die Brixton das mit Werbung grün beklebte Zapfventil verpasst, denke ich zumindest, bis ich nach 500 Metern liegen bleibe. Diesel getankt, Hornochse, denke ich. Zwei Originale waren mir im Tanktreff aufgefallen und die gehören zum ortsansässigen Oldtimer-Club. Ich lande einen Volltreffer, denn sie helfen mir spontan mit einer Pumpe die Soße zu entfernen. Eine Stunde später bin ich wieder startklar und bei einsetzendem Regen peile ich die Elbfähre Bitter-Hitzacker an. Deren freundlicher Fährmann macht für mich eine Ausnahme – normalerweise werden hier nur Fußgänger und Radfahrer befördert – und bringt mich wohlbehalten ins Wendland.
 
Eine Menge Besonderheiten der Randlage des Wendlandes lässt man sich entgehen, wenn man nicht in den Gorleben Forst um Gartow oder den letzten Zipfel von Niedersachsen, bei Schnackenburg fährt. Hier offenbart das Grüne Band an der Elbe einige seiner prominentesten Naturräume. Die Burg Lenzen zum Beispiel, mit ihrem BUND-Besucherzentrum, hat sich um den ökologischen Hochwasserschutz mit Deichrückbau und Aufforstung von Auwäldern verdient gemacht. Mehr dazu bei der nächsten Etappe oder auch in unserer Reportage über das Wendland.

Wappen der Familie Bernstorff

 

Dort geht es anfänglich um die Etappe von Neu Darchau nach Schnackenburg und die Umkreisung des Atommüll-Zwischenlagers sowie das Jagdgebiet der Grafen von Bernstorff.

 

→ zur 2. Etappe

Karte mit Sehenswürdigkeiten im Wendland (bitte scrollen)

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Kommentar von Marco |

HI,
ich bin auf den Bericht gestoßen, da ich im Juli die ehemalige
Grenze von Süd nach Nord fahren möchte.
Allerdings nur bedingt auf dem Kolonnenweg, da meine W650 das auf
Dauer wohl nicht mitmachen wird.
Gibt es vielleicht ein GPX File das ich in Calimoto einbinden könnte?
Dann müsste ich nicht die ganze Strecke nachbauen, sondern nur anpassen.
Viele Grüße,
Marco

Antwort von Markus Golletz

Na ausnahmsweise mal hier zum Download. Du kannst auch gerne eine kleine Spende tätigen, wenn du magst, das geht hier:

 

Kommentar von Erich Schnaithmann |

Hallo ich würde auch gerne die Strecke fahren mit meinem Quad könnte ich auch die Daten bekommen gibt es auch irgendwelche Unterlagen zum Übernachten.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
M.f.G.
Erich Schnaithmann

Antwort von Markus Golletz

Erich, bitte aufpassen und die Verbote & Natur Respektieren: Hier zum Download. Du kannst auch gerne eine kleine Spende tätigen, wenn du magst, das geht hier:

 

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