Fahrbericht: Ducati Multistrada 950 und Hypermotard 939
Im Sommer 2017 konnten wir ganze zwei Wochen mit den beiden Ducatis in den italienischen Westalpen unterwegs sein. Dabei haben wir besonders die EOffroad Eignung der Multistrada 950 testen können. Die Hypermotard 939 musste aber auch (fast) alles mitmachen. Einzige Ausnahme war die Ligurische Grenzkammstraße, die für ein reines Straßenmotorrad, besonders auf ihrem südlichen Abschnitt, ein Tacken zu viel des Guten ist.
Auf der wunderbaren Route gab es vor allem genug Kurven, kleine und kleinste Sträßchen und viel Höhenunterschied; Piemont liefert dafür zuverlässig eine perfekte Bühne.
Mit den beiden Motorrädern dabei kamen also Schotterpisten und Bergstraßen fahren. Die Multistrada ist dafür besser geeignet, ist ihr Motor einfach besser geschützt und ihr Fahrwerk mit längeren Federwegen (170 mm) einfach etwas erhabener. Von der Motorisierung sind beide Motorräder zumindest von der Hardware, den 950er Testastretta 11° Motor gleich. Er läuft in allen Mappings und Abstimmungen schon sehr früh rund und geschmeidig, entfacht aber auch Leidenschaft durch die Art, wie er es vom Vorschub und akustisch untermauert.
Von der Hardware gleich bedeutet aber auch, dass es in den Motorrädern Unterschiede gibt. Der Hypermotard Topf ist ein Hauch ordinärer, ungedämpfter von Sound. Beide Motorräder machen den Aftermarket arm: Bedarf für einen neuen Auspuff besteht bei beiden Motorrädern nicht.
Der Beste Ducati Touring Motor überhaupt
Das stellte auch die Motorrad in ihrem Test (Sonderbeilage) fest. Kein Vergleich zur alten und großen Multistrada 1200, die seit ihrem Erscheinen besonders in der Enduro Pro Variante, eine Menge Modellpflege und Verbesserungen angedeihen bekommen hat.
Kommen wir zu den ersten feinen Unterschieden: Während die Multistrada 950 ein ganz junger Spross ist, bei dem auch Ducati schon mal auf das Geld schaut (keine Hydrokupplung, herkömmliches Licht) ist die Multi aber mit passend zu den Fahrmodi abgestimmten und konfigurierbaren ABS und Traktionskontrolle ausgestattet. Das gilt zwar auch für die Hypermotard, nur kann man nicht überall selbst konfigurieren oder gar Abschalten. An der Multistrada 950 lässt sich sogar das ABS deaktivieren. Dazu später mehr. Mit dem größeren Vorderrad (19 Zoll) dem breiten Lenker, gleicht die Multi ihr höheres Gewicht (241 kg) zumindest auf der Straße irgendwie wieder aus. Auf der Hypermotard sitzt man gefühlt fast auf dem Vorderrad – fordernd und sehr fahraktiv sieht der Fahrer einfach nur die Straße. Die Instrumente nur mit gesenkten Blick. Außer der Fahrmodi selbst lässt sich an unserem normalen Hyperstrada Modell nichts weiter konfigurieren. Das führte bei den bisweilen sehr steilen Offroad Pisten der italienischen Westalpen zu der Situation, dass die Duc bergab einfach nicht mehr zum Stehen kam. Das ABS arbeitete unentwegt. Einzige Lösung: Motor ausschalten und ‚bremsen wie früher‘, Hinterrad auch mal blockieren lassen. Damit ging’s.
Das Einsatzgebiet ist sehr konstruiert, aber aus Fahrsicherheitsgründen sollte Ducati da eine Möglichkeit schaffen. Sonst muss die Maschine aus den schönen italienischen Bergen mit dem Hubschrauber abgeholt werden.
Hypermotard 939: ABS nicht abschaltbar
Der Grund ist ein ganz einfacher: Sicherlich wäre die Konfigurationsmöglichkeit ganz einfach möglich, aber es ist eine Sache des Marketings und der Preisstellung, das bestimmte Optionen nicht bei jedem Modell freigeschaltet sind.
Zu den Sonnenseiten der beiden Ducs gehört der aktuelle 950er Testastretta-Motor. Er wird in der derzeitigen Abstimmung als der beste Ducati Tourenmotor aller Zeiten gehandelt. Besonders bei der Multistrada 950 kommen noch die konfigurierbaren Motormappings dazu, die das Motorrad noch multifunktionaler machen und aufwerten: Sport, Urban, Enduro (letzterer fehlt bei der Hypermotard) und Touring können an der Multi nicht nur in der ABS-Charakteristik, sondern auch im Gas-Ansprechverhalten des Ride-by-Wire Gasgriff modifiziert werden. Den Mappings Urban und Enduro ist jeweils fest eine geringere Leistung von 75 statt 113 PS zugeordnet.
Fahrwerk
Beide Motorräder haben die für unsere spezielle Tour wichtigen Krallenfußrasten. So lassen sie sich auch in kniffligen Situationen, besonders auf der Multistrada, relativ gut & sicher im Stehen fahren. Bei der Hypermotard, die kompromissloser als Motard ausgelegt ist, bringt die Sitzposition weit vorne ordentlich Druck auf das 17 Zoll Vorderrad.
Insgesamt geht es auf beiden Motorrädern sehr flott zur Sache – die üppigen Brembo Bremsen sind über jeden Zweifel erhaben. Im Vergleich zur (2013er) Multistrada 1200 (120 PS) ist die kleine Multi viel ausgewogener, der Motor kultivierter und der Sound wesentlich gefälliger. Das Gesamtkonzept wirkt einfach ausgereifter. Auch wenn die 950er kein LED Fahrlicht und kein semiaktives Fahrwerk hat, wird hier nicht vermisst. Natürlich bekam auch die 1200er im Zuge der Modellpflege einige Updates verpasst (Bordcomputer, Bedienelemente, DVT, etc.)
Die 950er Multistrada hat für einen herkömmlichen H7 Scheinwerfer auch sehr gutes Fahrlicht, vor allem auch, weil immer 2 Lampen gleichzeitig brennen. Motor & Sound sind unserer Meinung nach besser als der der alten 1200 Multistrada für Touring und Reise ausgelegt. Besonders beim Gas geben entfaltet sich über den kurzen Auspuff (mit Klappen-Regelung) ein für Fahrer und Umwelt angenehmer Sound. Untermalt wird das Stakkato durch Racing-mäßige Ansauggeräusche aus dem Luftfilter. Der Sound, der entweicht, ist nicht so blechern wie bei der 1200, aber durchaus noch zu vertreten. Eine Oktave tiefer blubbert die voluminöse Auspuff-Tüte der Hypermotard 939, s. o.
Die Reifen bei der Motorräder sind bei Trockenheit kaum in die Knie zu zwingen. Man muss sich schon besonders anstellen, wenn man es einmal zu einem Rutscher kommen lassen will. So breit und üppig ausgelegt sind deren Aufstellflächen (120/70 R19 vorn und 170/60 R17 hinten), bzw. der SCORPION Trail II Reifen. Einen kleinen Kritikpunkt erntet der Spritverbrauch des rund und sauber abgestimmten Motors. Im Test lagen beide Motorräder ungefähr bei 5,3 bis 6 Liter Spritverbrauch.
An die Optik mit den dicken Backen und der tiefen Sitzmulde gewöhnt man sich schnell. Die Sitzposition passt auf der Multi sehr gut, auch mit Gepäck. Auf der Hypermotard muss man schon etwas Leidensdruck mitbringen, hier geht es viel enger und mangels Gepäcksystem auch durch unseren dicken (Camping-) Gepäcksack echt gequetscht zu. Ein Trend, den wir uns auf der Ducati Scrambler Dessert Sled auch vorstellen können. Abenteuer – ja, aber mit Scheckkarte und Hotelübernachtung.
Ein Fazit zu unserer Enduro Tour im gemischten Doppel müsste ungefähr so lauten: Einer Multistrada kann man sehr viel abverlangen, die Hypermotorad zieht wegen des genialen Motors und weniger Gewicht mit, muss aber bei steilen bergab-Passagen und Stellen die mehr Bodenfreiheit verlangen passen. All das haben wir auch nur bei Sonnenschein probiert. Bei Matsch und Regen definieren andere Parameter den Spaßfaktor. Zwei Motorräder, die vor allem wegen des gelungenen Motors in die Geschichte eingehen werden. Mit ihnen kann man nicht nur die aufregenden Straßen der Westalpen fahren, sondern auch die Anreise bewältigen. Auch hier bietet die Multi mehr Komfort, die Hypermotard ist hingegen etwas für Road Kurven Puristen.
Technische Daten (Auswahl):
Multistrada: Federung 170/170 mm, 241 kg, gummibelegte Offroad Rasten, USB Anschluss unter der Sitzbank und kleine Kfz Steckdose: Kommt wenig Strom raus
- Testvideo Multistrada 950
- Auch interessant: die chinesische Multistrada: Benellli TRK 502
Plus
- Gute Bremsen, Motor sehr angenehm abgestimmt, Fahrwerk gut
- Komfortable Federung, man sitzt ungeheuer Fahraktiv weit vorne, sieht nicht mal das Vorderrad, wenn man am Quirl liegt.
-
Gelungenes Gesamtkonzept
-
Sehr gute Armaturen, Spiegel, Bordcomputer
-
Gute Bremsen, guter Fahrkomfort
-
Fantastischer, dezenter Sound, auch Ansauggeräusche
-
Multistrada zum wörtlich nehmen
-
19 Zoll Vorderrad und Schwinge von der 1200 Enduro, das harmoniert mit den 170 mm langen Federwegen und wird vielen Enduristen gefallen
-
Top-Bereifung
- Spritverbrauch, 5,3 Liter
Minus
- Hyper: Offroad: ABS nicht abschaltbar, Reifen Pirelli Diabolo Rosso III
- Gabel nicht einstellbar, hinten nur Zugstufe. Passt aber auch alles vom Grundsetup
- Tankkapazität könnte größer sein. Tankleichte kommt nach unter 200 km, Reichweite manchmal nur 210 km (Multistrada: 350 km)
- Hinteres Sachs-Federbein für Reisebetrieb zu zweit ggf. zu schwach
- Kupplung rupft, solang sie noch kalt ist…
- Kaum LED Leuchtmittel verbaut
- Wegen CAN-Bus: Es ist nicht 'erlaubt' ein Navi direkt an Dauerplus anzuklemmen, weil dann der Pluspol abgeschraubt werden müsste
Kommentare zum Test
Kommentar von Ralf |
Hi, also bei meiner Hyperstrada 821 lässt sich das ABS sehr wohl abschalten, da sich die Modi konfigurieren lassen - Es ist nur irgendwo in den Menütiefen versteckt. Die Handbücher gibt's online als PDF und darin ist's auch irgendwo beschrieben. Ich glaube nicht, dass das bei der 939 Hyperstrada anders ist. Der Verbrauch liegt bei Touren auch eher unter 5l und in der Stadt über 5l, aber gut das mag bei der 939 höher sein. Der 16l Tank reicht aber auch bei 6l Verbrauch für mehr als 210km. Und dass das Abklemmen der Batterie Einfluß auf den 'CAN Bus' hat ist mir auch neu (habt ihr ausversehen nen VW getestet?) Hab das schon hundert Mal gemacht ohne dass sich die Duc beschwert hat. Was mich wirklich bei Ducati immer nervt ist die rupfende Kupplung, wobei Du sie bei der Hyperstrada OK finden wirst wenn Du zum Vergleich mal eine Streetfighter 848 fährst. Was ist Offroad problematisch an der 821? Hat nur 15mm Federwege und ist zu hart für Offroad abgestimmt. Sogar eine Mt09 ist angenehmer weil sie weicher ist obwohl sie noch weniger Federweg hat. In Marokko ist mir der Kühler kompliziert gebrochen wegen Materialermüdung. Vergleichbare Japaner haben das einfacher und besser gelöst. Die Position des Ölkühlers an der 939 sehe ich daher auch sehr skeptisch. An der Schwinge sind die Bremsen noch unten gerichtet verbaut. Dass ist für Offroad Einsatz auch misst. Bei mir hatte sich mal eine Schraube des ABS Sensors gelöst, und der herausstehende Schraubenkopf hat dann langsam den Bremssattel bei jeder Radumdrehung ausgefräst und dabei bei jeder Umdrehung das Rad gebremst. Das führte irgendwann bei mir in leichter Schräglage zum plötzlichen Sturz. Es hat ewig gedauert bis ich die Ursache ermittelt hatte und hätte auch böse enden können
Gruß Ralf
Antwort von Markus Golletz
Hi Ralf!
vielen Dank für deine ausführlichen Ergänzungen.
Zu deinen Anmerkungen: ABS: wir haben den Motor ausgeschaltet beim bergabfahren auf Schotter, dann ist das ABS auch aus. In der PDF Bedienungsanleitung gibt es einen Hinweis darauf, dass das ABS abschaltbar ist (s. 61: OFF: keine 'Default' Einstellung, ist auch keinem Riding Mode zugeordnet), aber es wird nicht gesagt, wie man das einstellen kann, nun ja.
Der Verbrauch war bei unserem Tester wie angegeben, wir sind auch kaum Autobahn gefahren.
Die CAN Bus Geschichte lag eher daran, dass Ducati Deutschland das nicht wollte, das wir daran rumspielen. An anderen CAN Bus Motorrädern (F 800 GS) hatten wir damit auch nie Probleme. Konnten wir also nicht ausprobieren / überprüfen, weil wir das Risiko nicht eingehen durften.
Auf jeden Fall nimmst du Deine Hyperstrada ganz gut ran, aber genau dann fallen einem solche Dinge auf, vielen Dank und: sollten wir mal beobachten, wie die Konstruktionsdetails (Kühlerbau, ABS-Sensor Befestigungsschraube, etc.) sich so entwickeln.
Vielen Dank nochmal!
Markus